Die Malerin von Fontainebleau
der Hirsch zerteilt und einzelne Stücke abtransportiert wurden. Der König spazierte derweil mit den Höflingen den Bachlauf entlang. »Was ist die Curée?«, fragte Luisa.
Meister Rosso zeigte auf die Hundemeute, die noch mit Gertenschlägen zurückgehalten wurde. Der Jagdmeister ließ den Leithund am Hirschkopf zerren und sprach lobend auf ihn ein, während die Jäger mit geübten Schnitten und speziellen Messern das Fleisch zerschnitten und auf die ausgebreitete Decke warfen. Jetzt wurden den Hunden einige Stücke ihrer Belohnung zugeworfen.
Plötzlich rief der Jagdmeister: »Tiel au!« und hielt das Gedärm in die Höhe. Die anderen Jäger trieben die Hunde mit Gerten von ihrem Fleisch fort und zu dem Jagdmeister hin, wobei sie »Appelle! Appelle!« riefen. Der Jagdmeister rief nun: »Outre à lui! Outre à lui!« und warf den Hunden das Gedärm zu, um das die Tiere zu kämpfen begannen.
»Warum machen sie das?«, fragte Luisa verständnislos.
»Das gehört zur Tradition. Das Gescheide, so heißt das
Gedärm, ist die größte Belohnung für die Hunde. Seht!«, sagte Rosso.
Erneut rief der Jagdmeister: »Outre à lui! Outre à lui!« Und die Hunde wurden mit den Gerten wieder auf ihre Curée, das Fleisch, zugetrieben, das sie jetzt auffressen sollten.
Marino Giustiniani stand mit vor der Brust verschränkten Armen und betrachtete das Geschehen. »Gute Hunde sind wertvoller als nutzlose Knechte. Sie entscheiden, ob die Jagd erfolgreich ist oder nicht. Seht den kastanienfarbenen Windhund dort vorn. Was für ein prächtiges Tier. Ich wette, der stellt jedes Rotwild.«
»Nun, junger Paserini, was haltet Ihr von Eurer ersten Jagd?« Rosso klopfte ihr jovial auf die Schulter.
»Ein wahrhaft königliches Vergnügen …«, meldete Armido sich trocken zu Wort.
In gelöster Stimmung machte sich die Jagdgesellschaft auf den Weg zurück zum Lager, wo sie bereits von den Damen erwartet wurde. Luisa erblickte Josette, die einer rothaarigen Hofdame ein Kissen brachte. Nachdem die Männer abgesessen waren, ließen sie sich an den Tischen nieder, die so üppig gedeckt waren, wie Luisa es hier draußen nicht für möglich gehalten hätte. Vier Feuer im Umkreis sorgten für Wärme, und wem das nicht genügte, der nahm sich von dem dunklen Rotwein, der in rauen Mengen ausgeschenkt wurde. Die Sonne stand hoch und hatte die feuchten Nebelschwaden des Morgens verdrängt.
Luisa betrachtete die aufgekratzte Gesellschaft, die die erfolgreiche Jagd feierte. Der König saß am Ende einer Tafel und prostete den herausgeputzten Damen und Höflingen zu, die sich unablässig um seine Gunst zu bemühen schienen. Über einem der Feuer wurde ein großes Stück des Hirsches gebraten, doch auf den Tischen standen bereits Schüsseln und Platten mit Brot, Schinken und Pasteten. Die Herrschaften
brauchten nicht mit knurrendem Magen auf das Wildbret zu warten.
Rosso saß mit Pellegrino in der Nähe des Königs. Giustiniani musste sich mit einem Platz am zweiten Tisch begnügen. Franz ignorierte ihn ebenso wie die anderen Botschafter, zwei weitere Italiener, ein Engländer und ein Deutscher.
Luisa rückte unsicher ihren Hut gerade und überprüfte den Sitz ihres Zopfes. Als sie sich unbeobachtet glaubte, griff sie in einen Lederbeutel, den sie am Gürtel trug, und schmierte sich Asche um Kinn und Wangen. Ihr Bruder kam von den Pferden herüber.
»Komm, wir wollen essen.« Ohne auf ihre Antwort zu warten, schob er sie in Richtung des Damentischs und setzte sich neben Josette, die kicherte und ihm gleich einen Becher Roten einschenkte.
»Für deinen Bruder auch? Oder ist er noch zu grün hinter den Ohren für Wein? Er sieht so blass aus. Die Jagd war wohl zu viel für ihn.« Die Kammerzofe ließ keine Gelegenheit aus, Luisa zu necken.
»Meine erste Jagd, und ich nehme einen Becher Roten, danke«, erwiderte Luisa und riss sich ein Stück Brot von dem vor ihr liegenden Laib ab.
»Uh, du bist aber empfindlich. Gibt es noch andere Stellen, an denen du so empfindlich bist?« Josette amüsierte sich köstlich und sah in ihrem blauen Kleid mit dem pelzverbrämten Umhang so anziehend aus, dass Armido seine große Liebe schon wieder zu vergessen schien, denn seine Hand lag bereits auf Josettes Schenkel.
»Welche ist deine Herrin?«, erkundigte Luisa sich und versuchte, ihren Bruder zu verstehen, aber vielleicht hatte sie einfach zu wenig Erfahrung in Liebesdingen.
»Die Rothaarige. Élodie de Tavannes. Sie ist eine Cousine des berühmten
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