Die Malerin von Fontainebleau
Haltet den Burschen fest!«
Zitternd schüttelte Luisa den Kopf und sah Rosso flehentlich an.
Der Knecht kam auf Meister Rosso zu, der Luisa zur Seite schob und einen Schritt nach vorn machte. »Was ist denn los? Was brüllst du so?«
»Der Bursche da! Übergebt ihn mir, Meister. Der war’s ganz sicher. Hat in der Küche gestohlen.«
»Wie das?« Rosso stemmte selbstsicher die Hände in die Hüften. »Wie könnte er das, wo er doch mit mir an Entwürfen gearbeitet hat und eben mit in die Galerie gehen wollte. Da hast du dich getäuscht. Und jetzt halte uns nicht auf, wir haben zu arbeiten! Kommt, Luca!« Damit drängte sich Rosso Fiorentino an dem verdutzten Knecht vorbei, gefolgt von einer nicht minder überraschten Luisa.
Nachdem sie außer Hörweite waren, sagte Luisa: »Habt vielen Dank, Meister! Ich weiß nicht, wie …«
»Ihr habt nicht gestohlen, nicht wahr?«
»O nein! So etwas würde ich niemals tun!« Entrüstet schüttelte Luisa den Kopf.
»Hätte ich auch nicht von Euch gedacht.« Seine Miene war undurchdringlich, während er sich über den kurzen Bart strich, der mehr Grau aufwies als seine rotbraunen Haare.
»Es war wegen meines Bruders.« Sie konnte Rosso nicht anlügen. »Ich habe mir Sorgen um ihn gemacht, weil er die ganze Nacht fort war – und wohl noch immer nicht zurückgekehrt ist.«
Schweigend stieg Rosso die Treppen hinunter und ging
mit ihr nach draußen. In der Abtei hatten die Glocken bereits zur Frühmesse geläutet, und es dämmerte. Der gefrorene Sand knisterte unter ihren Sohlen. »Sollte sich nicht eher Armido um Euch sorgen? Ihr klingt fast wie seine Schwester?« Wieder das amüsierte Lächeln.
»Ich, o nein …«, stotterte Luisa.
Rosso rieb sich die Hände. Sein Atem dampfte in der kalten Luft. »Hört zu, Luca Paserini. Ich halte Euch für begabt, und ich mag Euch. Also gebe ich Euch einen Rat – schleicht nicht nachts herum. Wir sind bei Hofe, und hier hat jeder Geheimnisse und spinnt Intrigen. Wenn man Euch fälschlich erwischt, könnte Euch das den Kopf kosten, und lasst Euch versichern, es gibt noch weitaus unangenehmere Methoden, sein Leben zu lassen. Euer Bruder ist ein erwachsener Mann.« Seine Stimme wurde sanfter. »Ihr seid mir ein Rätsel, Luca.«
Nachdenklich betrachtete er sie. »Armido und Ihr – verschiedener könnten Brüder nicht sein.« Er strich ihr über die Wange, die Finger waren kalt, doch Luisa errötete und sah zu Boden.
Noch nie hatte ein Mann ähnliche Gefühle in ihr ausgelöst, und es hatte genügend Gelegenheiten in Siena gegeben, bei denen sie mit einem hübschen jungen Burschen getändelt hatte. Einmal war es zu einem Kuss gekommen, doch ihre Gefühle damals waren nichts im Vergleich mit der Verwirrung, die Rosso Fiorentinos Berührung in ihr auslöste. Er sieht nur einen Jungen, dachte Luisa und sah dem verehrten Meister in die Augen. »Meister, ich muss Euch etwas sagen …«
Weiter kam sie nicht, denn Rosso senkte seine Lippen auf ihre und hielt ihr Gesicht sanft mit beiden Händen. Trotz des Bartes waren seine Lippen weich, und der Kuss raubte ihr alle Sinne, machte sie willenlos und ihren Herzschlag rasend.
Nein, rief sie sich mit aller noch verbleibenden Kraft zur Räson. Nein! Das ist nicht richtig! Sie öffnete die Augen und löste seine Hände von ihren Wangen. »Nein«, flüsterte sie.
»Weil ich ein Mann bin?« Es funkelte scherzhaft in seinen Augen.
»Nein!« Sie strich sich die Haare in den Zopf zurück, die sich während ihrer Flucht gelöst hatten. Dann trat sie einen Schritt zurück, wie um sich aus seinem Bannkreis zu befreien. Obwohl sie wusste, dass das unmöglich war. Jetzt mehr denn je.
Er lachte leise, ein tiefes warmes Lachen. »Luca, mein schöner junger Freund. Was gibt es Verführerischeres als die Jugend, die unbeschwerte Süße der Jugend und der Schönheit? Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht, und Ihr seid eine betörende Versuchung. Aber ich will Euch nicht in Verlegenheit bringen. Seid mein Freund, mein Schüler und vielleicht eines Tages mehr …«
Sie schluckte und hätte am liebsten geweint, weil sie ihm nicht sagen konnte, was sie empfand. Doch sie kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder und brachte ein verzweifeltes Lächeln zustande. »Ich danke Euch und stehe tief in Eurer Schuld.«
»Ah, jetzt kommt. Mir ist kalt, und ich will mir noch etwas in der Galerie ansehen, bevor wir nach Paris müssen.«
Rosso schlug die Hände zusammen und strebte mit weit ausholenden
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