Die Malerin von Fontainebleau
Erwartung dessen, was kommen sollte.
Die Straßen waren nass, und die Hufe seines Pferdes versanken bei jedem Schritt tief im Unrat. Armido kümmerte sich nicht um die Bettler, die ihre Hände nach ihm ausstreckten, und stieß einen von ihnen sogar grob mit dem Fuß zurück.
Für derlei hatte er keine Zeit. Seit er den königlichen Tross verlassen hatte, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, verfolgt zu werden. Der Regen machte es nicht leichter, Verfolger vor dem Grau der Mauern und des düsteren Himmels zu entdecken. Hinter der nächsten Hausecke drängte er sein Pferd in den Durchgang, wendete und wartete. Als auch nach geraumer Zeit niemand vorbeigekommen war, schnalzte Armido leise mit der Zunge und lenkte sein Pferd weiter durch die engen Gassen im Viertel um Saint Germain.
Immer wieder blickte er sich um, doch außer einem Jungen, der ein Bündel Holz trug, und zwei Männern, die einen Karren hinter sich herzogen, war niemand zu sehen. Wer würde sich bei diesem Wetter auch vor die Tür wagen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Armido schniefte. Seine Hände waren rot von der Kälte, sein Umhang nass und schwer, doch er brauchte nur an sie zu denken, und es wurde ihm warm. Aleyd. Es war gefährlich und unvernünftig gewesen, sich vor dem Ball davonzuschleichen, doch eine Erklärung für sein Fortbleiben würde ihm noch früh genug einfallen. Meister Rosso hatte sich lobend über seine Arbeit geäußert und war auch von seiner Schwester ganz angetan. Die Art, wie der Meister Luisa ansah, gefiel Armido zwar nicht, doch im Moment half ihm die Gunst, in der seine Schwester stand, und er hütete sich, Rossos Absichten zu hinterfragen. Mit dem feuchten Ärmel wischte er sich über das Gesicht und schob die Kapuze des Umhangs zurück, um die Schilder besser lesen zu können, die über den Ladentüren hingen.
Ein Lokal mit dem klingenden Namen »Zum goldenen Eber« war neben einem Papiermacher gelegen, dann folgte ein Buchdrucker »Martin«, er schien im richtigen Viertel zu sein. In einem Ladenfenster waren Bücher ausgestellt, und hinter den verschmutzten Scheiben brannte Licht. Lediglich
ein verwittertes Brett an der Tür zeigte an, dass man hier Bücher kaufen konnte, als Inhaber war ein Th. Ariès genannt. Armido ließ das Pferd weitergehen und zügelte es erst am Ende der Gasse. Dort stieg er ab und blickte sich um, doch die Männer mit dem Karren waren in einen Durchgang gebogen, und nur einige Ratten huschten die Wand des Gasthauses hinauf. Während er noch überlegte, wo er sein Pferd unterstellen sollte, ging die Tür von Ariès’ Laden auf, und Jules stellte eine Kiste an die Mauer. Armido hob eine Hand, und Jules nahm die Kiste auf und kam zu ihm.
»Los, nimm mir die Kiste ab«, flüsterte Jules und drückte seinem Freund die roh gezimmerte Holzkiste in die Arme. »Sag laut danke und geh um die Ecke. Auf der Rückseite vom ›Eber‹ ist ein Stall. Da kannst du dein Pferd abstellen, und dann klopfst du hinten an der Ladentür.«
»Danke«, sagte Armido vernehmlich und tat, wie Jules ihn geheißen. Die leere Kiste hatte er im Stall gelassen, die Sattelgurte seines Pferdes gelockert, und nun stand er knöcheltief im Matsch vor der Hintertür von Ariès’ Buchladen. Das Gemäuer war brüchig und von einem Schwamm überzogen, stellenweise kam Stroh zum Vorschein.
Endlich öffnete sich die Tür. Jules sah heraus.
»Mann, jetzt lass mich hinein, oder wer, denkst du, steht hier sonst im Regen?« Verärgert drängte Armido sich an seinem Freund vorbei ins Haus.
»Du hast keine Ahnung, was los ist, Armido!« Jules packte ihn am Arm.
Sie befanden sich in einer kleinen Küche, in der eine Druckerpresse und Bücherstapel in einer Ecke standen. Der Kamin zog nicht richtig ab, und der Rauch biss in Augen und Hals. Armido hustete.
»David ist tot!« Jules schüttelte seinen Arm. »Hörst du mir überhaupt zu?«
Armido räusperte sich und wandte den Blick von der Tür, die ins Nebenzimmer führte, wo er Aleyd entdeckt hatte. Sie war in ein Gespräch mit einem beleibten Grauhaarigen vertieft. »Was? David? Wieso?«
Jules raufte sich die Haare und begann auf- und abzugehen. »Er ist gefoltert worden, seine Leiche haben sie in die Seine geworfen. Es war Zufall, dass der Flussschiffer, der den Toten noch in derselben Nacht gefunden hat, ein Freund von Thibault ist. Später hätte das Wasser alle Spuren gelöscht gehabt.«
»Aber warum …?« Armido verstand nicht.
»Mein Gott, Armido, begreifst du
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