Die Marionette
seinen Mund zu öffnen, etwas zu sagen, aber es ging nicht. Warum ging es nicht? Der Gedanke verlor sich. Die Augen fielen ihm wieder zu.
***
Bonn, Deutschland
Katja saß am Boden unter dem Fenster und beobachtete den Mann auf dem Bett. Er lag wie gekreuzigt dort, sie hatte seine Hände und Füße an die Bettpfosten gefesselt, seinen Mund mit Klebeband verschlossen. Sie verfolgte das langsame Heben und Senken seines Brustkorbs und lauschte auf das leise Stöhnen, das jeden Atemzug begleitete. Er war wieder eingeschlafen.
Sie stand auf und sah durch einen Spalt im Vorhang hinaus auf die Straße, auf der der Verkehr vorbeirauschte. Die Autobahn. Dahinter lag der Rhein glitzernd in der Sonne. Es war fast Mittag. Sie waren schon viel zu lange hier, sie mussten fort, weiter, ihren Plan einhalten. Es durfte nicht noch ein Fehler passieren. Die Enge des winzigen Hotelzimmers war erdrückend, wenn sie eine Hand ausstreckte, konnte sie Bender berühren, und sie meinte seinen Atem nicht mehr nur zu hören, sondern zu riechen. Mit zwei Schritten war sie im Badezimmer, lehnte schweratmend über dem Waschbecken und kämpfte gegen den Wunsch ihres Körpers an, die unerträgliche Spannung zu lösen, indem sie sich erbrach.
Zu viel war schiefgelaufen, seit sie die Villa im Wald verlassen hatten. Beinahe hätte sie die Kontrolle verloren. Beinahe hätte sie Bender verloren. Er war bewusstlos gewesen, als sie den Kofferraum wieder geöffnet hatte, sie hatte ihn kaum wieder zu sich gebracht. Sein Herz. Er hatte fast einen Infarkt erlitten. Sie hatte ihm Aspirin gegeben, ihn gezwungen, einen Liter Wasser hinterherzutrinken. Aber ihr war klar gewesen, dass er Medikamente brauchte. Sie hatte einen Weg gefunden. Es hatte Zeit gekostet, Zeit, die sie nicht hatte. Sie war nervös geworden, hatte nicht mehr auf die Details geachtet und Fehler gemacht. Das war ihr früher nie passiert. Sie hatte hart trainiert, in aufreibenden lebensgefährlichen Situationen flexibel zu sein, spontan umzudenken, neu zu planen. »Du hast Nerven wie Drahtseile«, hatte ihr einmal ein Kamerad gesagt. Was war daraus geworden?
Sie hatte mit Bender ein Motel aufgesucht und an der Rezeption von ihrem kranken Vater gesprochen, für den Fall, dass jemand beobachten würde, wie sie ihn hineinbrachte. Es war eine jener anonymen großen Billigabsteigen, wie sie an Autobahnen und Fernstraßen inzwischen überall in Deutschland zu finden waren. Niemand hatte weiter nachgefragt, niemand hatte sich gekümmert, als sie mitten in der Nacht wieder aufgebrochen war, um den Sprengsatz zu plazieren. Vielleicht war es Schicksal, dass er nicht zündete. Es wäre eng geworden. Sie hatte überlegt, es erneut zu versuchen, aber es gab eine unumstößliche Regel: Geh nie zurück!
Auf dem Monitor ihres Laptops blinkte der E-Mail-Eingang. Sie trat an den kleinen Tisch, auf dem sie den Computer abgestellt hatte. Die Mail war von Valerie Weymann und enthielt nur eine kurze Zeile:
Wir müssen unbedingt sprechen, rufen Sie mich an. Valerie.
Katja drückte auf
Schließen.
Sie hatte ihre Forderungen gestellt. Solange sie nicht darauf eingingen, gab es nichts zu besprechen. Sie sah zum Bett. Bender hatte die Augen noch immer geschlossen, aber sie war sich plötzlich sicher, dass er nicht mehr schlief. Sie zog ihren Revolver aus dem Bund ihrer Hose und drückte ihm den Lauf an die Schläfe. »Wenn du schreist, erschieße ich dich«, sagte sie ruhig. »Niemand wird es hören, die Waffe hat einen Schalldämpfer.« Dann riss sie ihm mit einer schnellen Bewegung das Klebeband vom Mund.
Bender unterdrückte ein Stöhnen. »Wo sind wir?«, fragte er heiser.
Er versuchte es immer wieder, gab einfach nicht auf. Diese Hartnäckigkeit nötigte ihr ungewollt Respekt ab. Es gab nicht viele Menschen, die so viel Disziplin, so viel Courage besaßen.
Sie löste die Fesseln seiner Füße, damit er seine Beine bewegen und das Blut wieder in Zirkulation bringen konnte. Dann befreite sie auch seine Hände und reichte ihm eine Flasche Wasser, ohne auch nur einmal die Waffe von seinem Kopf zu nehmen. Er trank durstig, schluckte gierig. Sie wies wortlos auf den Nachttisch, wo sie die Tabletten für ihn hingelegt hatte. Er drückte eine aus der Packung und hielt sie in der Hand, doch bevor er sie in den Mund steckte, sah er zu ihr auf. »Warum tun Sie das?«, fragte er.
»Weil du lebendig mehr wert bist als tot«, erwiderte sie knapp.
»Das meine ich nicht.«
»Schluck die verdammte Tablette.«
Er blickte
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