Die Marionette
mehreren Konten bei verschiedenen Banken ein Guthaben in Höhe von insgesamt etwa 75 000 Euro hatte, das sie sich in der vergangenen Woche kurz vor dem Attentat während der Trauerfeier in bar hat auszahlen lassen.«
»Haben wir die Seriennummern der Scheine?«, fragte Mayer.
Wetzel schüttelte den Kopf. »Sie hat die einzelnen Summen in Beträgen von nicht mehr als fünfzehntausend Euro von ihren Konten abgehoben, da fragt keine Bank nach.«
Mayer schenkte sich einen Kaffee ein. »Sie wusste, dass wir als Erstes ihre Konten sperren würden. Sie ist ein Profi, und wir selbst haben sie dazu gemacht. Sie hat eine perfekte Ausbildung beim KSK erhalten, hat jahrelange Berufserfahrung und die entsprechenden Kontakte.« Er blickte Schavan und Wetzel ernst an. »Sie weiß, wie man einen Guerilla-Krieg führt, und genau das ist es, was sie jetzt macht.« Er sah sich um. »Wo ist eigentlich Martinez?«
»Der wurde in die amerikanische Botschaft zitiert«, antwortete Wetzel. »Und ich kann Ihnen versichern, Chef, dass er dazu einiges zu sagen hatte, das nicht einmal ich wiederholen möchte.«
Mayer grinste müde. Es war unverkennbar, dass Martinez einen bleibenden Eindruck bei Wetzel hinterließ.
»Frau Weymann ist vor einer halben Stunde ins Hotel gefahren, um ein paar Stunden zu schlafen«, fuhr Wetzel fort. »Sie ist jederzeit über das Mobiltelefon zu erreichen, und ruft uns sofort an, falls Katja Rittmer sich in der Zwischenzeit bei ihr melden sollte.«
Mayer warf einen Blick auf seine Uhr. Es war inzwischen 1:07 Uhr. »Alle, die nicht unbedingt gebraucht werden, sollten ebenfalls ein paar Stunden schlafen.« Er wandte sich an Schavan. »Wir müssen Schichten einteilen. Wir wissen nicht, was uns morgen erwartet, und das Letzte, das wir brauchen, ist ein Haufen übermüdeter Mitarbeiter, die wichtige Details übersehen.«
»Ich kümmere mich darum«, versprach Schavan und stand auf.
Wetzel reckte sich ebenfalls. »Und was ist mit Ihnen, Chef? Wann haben Sie das letzte Mal geschlafen?«
Mayer antwortete nicht, griff stattdessen nach seinem Laptop. »Ich bin im Konferenzraum, wenn mich jemand sucht.« Als die Tür hinter ihm zufiel, schloss er die Augen und ließ für einen kostbaren Moment die Stille auf sich wirken. Atmete durch. Was würde in fünf Stunden passieren? Um diese Zeit setzte der Berufsverkehr ein, U-Bahnen, Busse und Straßen füllten sich. Würden sie rechtzeitig den entscheidenden Hinweis erhalten, um ein weiteres Unglück zu verhindern? Die Zeit lief gegen sie, Katjas Countdown tickte unaufhörlich weiter.
Kein Hinweis, keine Nachricht – nichts!
Die Stunden bis zum Morgengrauen zogen sich zäh dahin, und die Nervosität und das Entsetzen wuchsen mit jeder Minute, die verging. Um 5:15 Uhr war auch der letzte Mitarbeiter des Teams wieder an seinem Platz, die Schichtregelung vergessen. Um 5:45 Uhr breitete sich eine atemlose Stille aus, in der das langsame Vorrücken des Zeigers der großen Uhr an der Stirnseite des Raums jedes Mal wie ein Gongschlag erklang. Im Hintergrund flimmerten noch immer die Bilder lautlos über die großen Fernsehmonitore. Kein Telefon klingelte, kein Handy summte. Niemand wagte zu sprechen. 6:00 Uhr. Nichts passierte. Der Zeiger der Uhr rückte weiter. 6:15 Uhr. 6:20 Uhr. 6:28 Uhr. Irgendwo klingelte ein Telefon, und alle sprangen auf. Aber es war nur ein Anruf aus der Kantine, die anfragte, ob man Frühstück bringen sollte. Die Spannung war gebrochen. Hoffnung flammte auf. Sollte das Unmögliche, das Unerwartete passiert sein, blieb das erwartete Unglück aus? Noch wagte niemand, es auszusprechen, noch wagte niemand, es zu beschwören. 6:45 Uhr. Mayer und Schavan tauschten einen Blick. Schavan räusperte sich. Der BKA -Mann war kreidebleich unter seinem Drei-Tage-Bart. Mayer ahnte, dass er selbst vermutlich nicht besser aussah. »Glauben Sie, dass sie aufgegeben hat?«, fragte Schavan.
Mayer schüttelte den Kopf. »Es muss etwas schiefgelaufen sein.«
***
Bonn, Deutschland
Gerwin Bender schlug die Augen auf und starrte an die Zimmerdecke auf die Lampe, die dort in der Mitte hing und gedämpftes Licht verströmte. Er lebte. Sein Herz hatte ihn wider Erwarten nicht im Stich gelassen. Die Lampe schwankte wie auf einem Schiff. Der Anblick bereitete ihm Übelkeit. Er schloss die Augen wieder. Öffnete sie erneut. Die Lampe hing ruhig. Er atmete tief durch. Er lebte. Die Erleichterung darüber verdrängte für den Moment alles andere. Er versuchte,
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