Die Marionette
Auf den Monitoren an den Wänden liefen in den Sonderberichterstattungen der Fernsehsender immer wieder dieselben Bilder, Interviews und Hintergrundberichte. Jochen Schavan griff schließlich zur Fernbedienung und schaltete entnervt den Ton ab. »Es bringt uns nicht voran, wenn wir uns von den Medien verrückt machen lassen«, sagte er, als einer der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes protestierte. »Wenn es neue Informationen gibt, werden wir sofort davon erfahren, dafür sorgt das Bundespresseamt. Machen wir unsere Arbeit.«
Es herrschte Nachrichtensperre. Alle Verantwortlichen fürchteten die Panik, die ausbrechen würde, wenn das wahre Ausmaß der Bedrohung, die Katja darstellte, publik würde.
Nachdem ein Fahndungsfoto von ihr im Fernsehen ausgestrahlt worden war und seitdem im Internet auf allen Nachrichtenplattformen abgerufen werden konnte, standen die Telefone nicht mehr still. Überall meinten besorgte Bürger, die Ex-Soldatin erkannt zu haben. Sie war gleichzeitig in München, Frankfurt, Saarlouis, Hameln, in der Wesermarsch und in Magdeburg gesehen worden. Überall im Land überprüften Beamte der Polizeibehörden diese Meldungen, verfolgten Spuren und gingen Hinweisen nach.
Es bestand ein Konsens in der Regierung, den Forderungen Katjas nicht nachzugeben. »Der Verteidigungsminister wird nicht zurücktreten«, hatte der Leiter des Bundeskanzleramts Mayer informiert. »Finden Sie die Frau und beenden Sie dieses Horrorszenario.«
Die Kabinettsmitglieder fürchteten vor allem den politischen Schaden. Drei Ministerien waren betroffen: Das Ressort Verteidigung stand am Pranger, seit öffentlich bekannt war, dass es sich um eine traumatisierte Soldatin handelte, die derzeit die gesamte Republik in Atem hielt. Der Wirtschaftsminister hatte bereits die Verantwortung für die Korruptionsfälle innerhalb seines Ministeriums im Zusammenhang mit den illegalen Waffengeschäften der Larenz-Werke übernommen und war zurückgetreten. Nun durfte das aktuelle Krisenmanagement des Bundesministeriums des Inneren unter keinen Umständen scheitern.
Mayer hatte sich an seinen Vorgesetzten gewandt, doch der hatte abgewinkt. »Unsere Behörde hat mit dem Fall nichts zu tun – offiziell leisten wir lediglich Amtshilfe, weil Sie Katja Rittmer persönlich kennen und früher mit ihr zusammengearbeitet haben. Sie und Wetzel sind dem Innenministerium unterstellt.«
Mayer hatte sich daraufhin mit dem Innenminister persönlich in Verbindung gesetzt. »Wir arbeiten alle unter Hochdruck, aber wir brauchen Kooperationsbereitschaft und Handlungsspielraum, keine Weisungen von oben«, erklärte er ohne Umschweife.
Der Minister räusperte sich. »Ich werde tun, was ich kann, um Ihnen den Rücken frei zu halten«, versprach er.
Jetzt informierte Mayer sich zunächst über den aktuellen Stand der Dinge, aber es gab nichts entscheidend Neues. »Kein Lebenszeichen von Katja«, erklärte Wetzel. »Wir haben auf allen Kanälen versucht, Kontakt zu ihr herzustellen. Sie reagiert nicht.« Mayer warf einen Blick auf die große Karte, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Deutschland besaß eine Fläche von rund 357 000 Quadratkilometern, ein Fleck auf der Weltkarte und doch groß genug, um einen Menschen verschwinden zu lassen. Katja konnte überall sein. Sie hatten keinen Anhaltspunkt. Das Einzige, was es gab, war die vierzehn Stunden alte Aufnahme einer Überwachungskamera einer kleinen Tankstelle im niedersächsischen Wolfenbüttel, die eine Frau zeigte, die Katja zumindest sehr ähnlich sah. Sie war ihnen vor einer guten Stunde übermittelt worden.
»Sie weiß genau, wie sie für uns unauffindbar bleibt«, sagte Jochen Schavan. »Sie zahlt nur in bar, hebt nirgendwo Geld ab, ihr Handy ist nicht zu orten, ihr Internetzugang verschlüsselt.«
»Sie hat die ganze Aktion sehr gründlich vorbereitet«, erwiderte Mayer.
»Sie muss aber irgendwo Spuren hinterlassen haben«, gab Schavan zu bedenken. »Denken Sie an die Waffen, den Sprengstoff. Hat sie den Einbruch in das Militärlager selbst verübt oder hat sie auf Ressourcen zurückgegriffen? Das Gewehr, mit dem sie auf den Verteidigungsminister geschossen hat, war eine hochmoderne Präzisionswaffe. So etwas liegt nicht einfach auf einem Dachboden herum.«
»Nach allem, was durch die Presse gegangen ist, wird sich der Verkäufer kaum freiwillig bei uns melden«, bemerkte Wetzel, der das Gespräch bis dahin schweigend verfolgt hatte. »Aber wir wissen jetzt, dass Katja Rittmer auf
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