Die Marionette
doch Meisenberg hatte, wie schon oft, den richtigen Riecher gehabt. Valerie Weymann interessierte sich nicht für die Chance, sich mit einem spektakulären Fall wie diesem ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. In ihren Augen lag nicht das begehrliche Leuchten, das Bender bei Oliver Schaar, dem Vertreter der Hamburger Justiz, gesehen hatte. Der Fall an sich reizte sie, forderte sie heraus. Die Fragen, die sie stellte, offenbarten es. Bender hatte sie nicht aus den Augen gelassen, während sie mit Eric Mayer, mit Vombrook und Vieth sprach. Sie kannte sie alle. Und jeder Einzelne von ihnen schätzte sie. Was ihn überrascht hatte, denn in seinen Augen war sie keine Frau, die es einem Mann leichtmachte, dafür war sie zu kühl, zu analytisch. Doch Bender wusste, dass seine Meinung über Valerie Weymann irrelevant war. Er lächelte in sich hinein. Das Entscheidende war, dass sie Eric Mayer kannte. Mehr als nur flüchtig. Bender hätte zu gern gewusst, was die beiden verband. Meisenberg hatte auf seine Frage nur gelächelt, wie immer, wenn er etwas nicht preisgeben wollte. »Machen wir es uns zunutze«, hatte er lediglich bemerkt.
Bender rieb sich müde die Schläfen. All das änderte nichts daran, dass er sich wie eine Geisel in seiner eigenen Firma fühlte. Überall krochen Mayers Leute herum, schnüffelten, stöberten und machten einen geregelten Arbeitsablauf nahezu unmöglich. In der Belegschaft kursierten erste besorgniserregende Gerüchte. Auf einer hastig einberufenen Betriebsversammlung war es Benders Aufgabe gewesen, eine plausible Erklärung zu liefern und Zuversicht zu verbreiten. Doch wie leicht konnte trotzdem etwas durchsickern. Und dann hatte ihn vor einer Stunde der Anruf eines guten Freundes aus Regierungskreisen in den USA erreicht, der von »bislang unbestätigten Gerüchten aus Geheimdienstkreisen« gesprochen hatte, die schnell an Substanz gewannen. Seither hatte Bender keine ruhige Minute mehr gehabt. Er musste befürchten, dass die amerikanischen Medien bereits an der Geschichte dran waren.
»Wir müssen die Öffentlichkeit informieren, bevor es andere tun«, sagte er deshalb am Abend zu Andreas Vombrook und Valerie Weymann, die sich mit ihm in seinem Büro trafen, nachdem alle anderen schon gegangen waren. Lediglich die Mitarbeiter der Regierung und der Staatsanwaltschaft arbeiteten noch immer. Bender war sich sicher, am nächsten Morgen vor dem Werkstor über die ersten Reporter zu stolpern. »Wir brauchen etwas für die Presse, um sie ruhigzustellen.«
»Ich habe schon darüber nachgedacht«, sagte Valerie Weymann. »Das Beste wäre, dicht an der Wahrheit zu bleiben, ohne viel preiszugeben.«
Vombrook kommentierte ihre Worte mit einem säuerlichen Lachen. »Ein interessanter Spagat, Valerie. Wie willst du das hinkriegen?«
Statt einer Antwort zog sie eine fertige Pressemitteilung aus ihrer Laptop-Tasche und reichte sie Bender. »Sie sollten diese Zeilen umgehend an die wichtigsten Medien rausgeben und für morgen Vormittag zu einer Pressekonferenz einladen.«
Bender überflog die knappe Mitteilung. Sie enthielt alles und gleichzeitig nichts. Wortlos reichte er sie an Vombrook weiter.
»Das ist perfekt«, erwiderte dieser, seine Stimme frei von jedem Sarkasmus, der eben noch darin gelegen hatte.
Valerie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Meine Herren, Sie müssen mich jetzt entschuldigen. Ich habe noch eine Verabredung.«
»Beeindruckend«, bemerkte Vombrook, nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war.
Bender nickte, die Pressemitteilung noch immer in der Hand. Er hielt nicht viel von Frauen in Vorstandsetagen. Wenn er sich Valerie Weymanns Auftreten vor Augen hielt, wusste er, warum.
***
Hamburg, Deutschland
Die Tapas-Bar war überfüllt, selbst zu dieser späten Stunde noch, der Geräuschpegel entsprechend hoch. Milan war noch nicht da. Valerie bestellte ein Glas Weißwein, während sie auf ihn wartete.
»Ich brauche deine Hilfe, Valerie«, hatte er gesagt, als sie sich im Konferenzraum der Larenz-Werke begrüßt hatten. Sie hatte sich gefragt, ob seine Bitte geplant oder einer spontanen Idee entsprungen war. Milan war überrascht gewesen, sie zu sehen. Er hatte es nicht gezeigt, aber sie kannte ihn gut und vor allem lange genug, um sich dessen sicher zu sein. An der Universität war er einer ihrer attraktivsten Kommilitonen gewesen. Sein Studium hatte er sich damit finanziert, dass er nebenbei als Model gejobbt hatte. Damals hätte sie nie gedacht, dass er es als der
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