Die Marionette
Tür wieder zu und drückte den Knopf für die Zentralverriegelung.
»Frau Weymann?« Sie blickte in das Gesicht eines Bundesbeamten, wie sie sehr schnell an dem Ausweis feststellen konnte, den er gegen das Glas drückte. »Bitte steigen Sie aus.«
Ihre spontane Reaktion war Ablehnung. »Was immer Sie von mir wollen«, sagte sie, ohne das Fenster oder die Tür zu öffnen. »Rufen Sie mich morgen früh an.«
»Valerie?«
Eric Mayer schob sich in ihr Blickfeld.
Valerie ließ die Hände vom Lenkrad in ihren Schoß sinken. »Schläfst du nie?«, fragte sie nur und betätigte den elektrischen Fensteröffner.
»Ich muss mit dir reden.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Nein.«
Ein Van der Landespolizei parkte nur wenige Meter weiter auf der Straße. Mit ungutem Gefühl stieg Valerie ein.
Mayer zog die Tür hinter ihnen zu. Ein weiterer Beamter, den sie nicht kannte, war im Wagen.
»Dein Treffen mit Milan Vieth ist geplatzt«, sagte Mayer.
Valerie nickte müde. »Ihr überwacht ihn also. Wo ist er?«
Mayer ging nicht auf ihre Frage ein. »Hat er dir etwas geschickt?«, fragte er stattdessen.
Valeries Finger schlossen sich so fest um den USB -Stick in ihrer Tasche, dass die Kanten in ihre Handfläche schnitten. »Nein, das hat er nicht«, erwiderte sie mit erzwungener Ruhe.
Mayer sah sie nachdenklich an, sagte aber nichts weiter.
»Sei vorsichtig, Valerie«, bemerkte er schließlich, und in seiner Stimme lag ein warnender Unterton. »Du bewegst dich auf
sehr
gefährlichem Terrain.«
»Willst du mir drohen?«, fragte sie. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. »Nichts liegt mir ferner«, erwiderte er ernst. »Wir haben vor einer Stunde Milan Vieths Leiche geborgen.«
Valerie brach der Schweiß aus, und für einen Moment meinte sie, sie müsse sich übergeben. »Milan … ist tot?«, stieß sie mühsam hervor. »Wie … ich meine, was …?«
»Wir haben die Nachricht über seinen Tod erhalten, kurz nachdem wir herausgefunden haben, dass er es war, der für die illegalen Geschäfte der Larenz-Werke mit den Taliban verantwortlich ist.«
Milan hatte Geschäfte mit den Taliban gemacht? Das war unmöglich. Fassungslos schüttelte Valerie den Kopf. »Milan steckt dahinter? Das kann ich nicht glauben …«
Sie unterbrach sich, riss sich zusammen, als sie sich bewusst wurde, dass Mayer sie aufmerksam beobachtete. Jede Information, die sie in ihrem ersten Entsetzen preisgab, würde er verwenden. Sie kannte ihn.
Sie richtete sich in ihrem Sitz auf. »Warum Milan? Ich glaube das nicht. Ich kenne ihn.«
»Wir haben stichhaltige Beweise.«
»Und die wären?«
Er schwieg. Natürlich würde er ihr nichts erzählen. Sie arbeiteten nicht für dieselbe Seite. Sie würde Informationen bekommen, vielleicht schon am nächsten Tag, aber sie würden gefiltert sein, ausgewählt. Tauglich für die Öffentlichkeit. Das war nicht das, was sie wollte.
»Wie ist es passiert?«, fragte sie.
»Ein Verkehrsunfall.« So wie er es sagte und sie dabei ansah, klang es nicht, als hielte er diesen Unfall für zufällig.
Ihr Herz klopfte noch immer viel zu schnell, und ihre Hände zitterten, als sie wieder in ihrem Auto saß und den Schlüssel im Zündschloss drehte. Der kurze Weg nach Winterhude erschien ihr an diesem Abend endlos.
»Was ist passiert?«, fragte Marc, als sie endlich nach Hause kam. »Du bist spät und siehst aus, als wäre dir unterwegs der Leibhaftige begegnet.«
»Ich hatte keinen guten Tag«, antwortete sie und wich dem Blick ihres Mannes aus. Es war eine schamlose Untertreibung.
***
Hamburg, Deutschland
Langsam sank Katja an der Hauswand in sich zusammen und barg den Kopf in ihren Händen. Ihr Herz raste von dem schnellen Lauf. Ihr Atem kam stoßweise. Auf der Straße heulten Martinshörner. Der Strahl des Blaulichts drang bis in den Hinterhof. Überall war Blut. Auf ihrer Kleidung und ihren nackten Armen. Dunkle Tropfen in dem Sand zu ihren Füßen. Sie kämpfte gegen den Schwindel an, der sie überkam. Sie durfte nicht ohnmächtig werden. Sie musste weiter. Fort. Sie hob den Kopf. Die Konturen der Häuser verschwammen in der Dunkelheit, lösten sich auf. Gleich darauf blinzelte sie in das tanzende Licht von Taschenlampen, hörte Schritte und Stimmen. Sie tastete nach ihrer Waffe, griff ins Leere, realisierte wieder, wo sie war, und hielt den Atem an. Doch es war zu spät. Einer der Lichtkegel traf ihr Gesicht. Sie rappelte sich auf, wollte fliehen.
»Bleiben Sie stehen, Polizei!«
Schützend
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