Die Marionette
Distanz auflösen würde.
***
Hamburg, Deutschland
Eric Mayer betrachtete nachdenklich die kühne Konstruktion aus Glas und Stahl, die sich vor ihm in den Himmel reckte.
»Die Larenz-Werke haben sich den Neubau ihrer Zentrale einiges kosten lassen«, bemerkte Oliver Schaar, der leitende Staatsanwalt, der mit Mayer im selben Wagen gefahren war. »Bender hat sich hier ein Denkmal gesetzt, heißt es.« Mayer warf dem für seine Position noch recht jungen Mann einen flüchtigen Seitenblick zu. Er war der typische Karrieretyp, vermutlich aus einer der ersten Familien der Stadt. Es war anzunehmen, dass die Staatsanwaltschaft für ihn nur eine kurze Station auf seiner Erfolgsleiter war.
Sobald sie das Gebäude betraten, spürten sie die Anspannung. Nervöse Blicke streiften sie. An der Rezeption griff eine der jungen Damen, die dort saß, sofort zum Telefon.
»Wie schön, dass wir bereits erwartet werden«, bemerkte Wetzel spöttisch, der ebenfalls mit von der Partie war. »Irgendjemand in Berlin hat sich diese Information sicher gut bezahlen lassen.«
Mayer war nicht überrascht. Er kannte Gerwin Bender gut genug, um zu wissen, dass sie eine harte Nuss zu knacken hatten. Deswegen war er schließlich hier.
Der Aufzug brachte sie in den dritten Stock und gab den Blick frei auf eloxiertes Metall, getönte Scheiben und einen Teppichboden, der jedes Geräusch schluckte. Am Ende des breiten Flurs standen die Flügeltüren eines Konferenzraums weit offen. Wie es schien, war der gesamte Vorstand dort versammelt.
Wetzel entfuhr beim Betreten ein überraschtes »Ach, was!«.
Mayer folgte dem Blick seines jüngeren Mitarbeiters und erlebte, wie sich anderthalb Jahre auf ein Nichts reduzierten, als sich die einzige Frau in der Männerriege zu ihnen umdrehte. Da war wieder jener Raum auf dem Flughafen, wo sie sich das erste Mal begegnet waren.
Ich bin Anwältin, Herr Mayer. Ich kenne meine Rechte.
Ein trotzig aufgeworfener Mund und vor Wut gerötete Wangen. Er wusste nicht, warum sich von allen Bildern gerade jenes in sein Gedächtnis eingebrannt hatte.
Ein gewisser Trotz lag auch jetzt in Valerie Weymanns Haltung, der Art, wie sie ihre Schultern hielt und den Kopf. Als sich ihre Blicke begegneten, verlor sich dieser Eindruck jedoch. Ein Lächeln huschte über ihre Züge.
»Valerie, was für eine Überraschung, dich zu sehen!«, sagte er. Bei ihrem Abschied vor achtzehn Monaten waren sie formlos zum Du übergegangen.
Ihr Lächeln vertiefte sich. »Ehrlich gesagt, habe ich auch nicht mit dir gerechnet, Eric.«
Er betrachtete sie eingehend. Es schien ganz so, als hätte die Zeit die Spuren getilgt: die Schatten, die Angst. Er nahm es mit Erleichterung zur Kenntnis.
»Wie ich sehe, kennen Sie sich bereits.« Gerwin Bender war unbemerkt zu ihnen getreten. Er streckte Mayer die Hand entgegen. »Keine schönen Umstände, unter denen wir uns wiedertreffen«, bemerkte er. »Ich bin erschüttert von dem Verdacht, der gegen unseren Konzern im Raum steht. Wir werden selbstverständlich alles tun, um die Aufklärung zu unterstützen.« Er gab sich gelassen, aber Mayer ließ sich nicht täuschen. Bender war ein alter Fuchs, der schon einige Krisen gemeistert hatte.
Die Flügeltüren standen noch immer offen, und am Ende des Flurs stieg ein attraktiver dunkelblonder Mann aus dem Fahrstuhl, der eilig auf sie zuging. Mayer hatte Milan Vieth in der Runde der Vorstandsmitglieder schon vermisst. Auch Bender bemerkte ihn jetzt.
»Milan, gut, dass du so schnell kommen konntest«, begrüßte er ihn. Milan Vieth leitete das operative Geschäft der Larenz-Werke und war maßgeblich für das Zustandekommen des Geschäfts mit der afghanischen Regierung verantwortlich. Mayer hatte ihn in Afghanistan als einen sympathischen und ruhigen Mann mit großer Fachkompetenz kennengelernt, dem im Gegensatz zu Bender jeglicher Hang zur öffentlichen Darstellung fehlte.
Vieth nickte Bender und Mayer zu, dann begrüßte er Valerie Weymann, die er augenscheinlich recht gut kannte. Die beiden wechselten ein paar Worte, zu schnell und zu leise, als dass ein Außenstehender etwas verstehen konnte. Aber Mayer bemerkte die Veränderung im Gesichtsausdruck der Anwältin, die plötzliche Anspannung. Was erzählte Vieth ihr? Sie zog einen Organizer aus der Tasche. Offensichtlich sprachen sie einen Termin ab, um sich außerhalb der Firma zu treffen.
»Soll ich mich drum kümmern?«, hörte Mayer Wetzels leise Stimme neben sich.
Mayer seufzte. »Im Grunde müssen
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