Die Marionette
Valerie Weymann.
***
Hamburg, Deutschland
Als Gerwin Bender in den eigens für Pressekonferenzen und öffentliche Veranstaltungen eingerichteten Saal in der Firmenzentrale im Hamburger Hafen trat und in die Gesichter der Pressevertreter blickte, die dort auf ihn warteten, fragte er sich, wie weit sie wohl gehen würden mit ihren Fragen. Wie groß ihre Gier war, sich zu profilieren. Wie auf Knopfdruck setzte er ein souveränes Lächeln auf und nahm zwischen den ausgewählten Mitgliedern des Vorstandes Platz. Er spürte Vombrooks Nervosität. Der Justiziar saß neben ihm, steif wie ein Brett. Andreas war durch und durch Jurist und alles andere als gewandt, wenn es darum ging, die Arbeit des Konzerns der Öffentlichkeit zu präsentieren, aber letztlich war das auch nicht seine Aufgabe. Wie die anderen Vorstandsmitglieder diente er an diesem Morgen lediglich als Staffage. Bender würde antworten, erklären, dementieren und beschwichtigen. Der öffentliche Auftritt war seine große Stärke.
Er warf einen flüchtigen Blick zu seinen unauffällig plazierten Sicherheitsleuten. Seit er auf einer Veranstaltung von einem wütenden Aktivisten mit einem roten Farbbeutel beworfen worden war, der danach auch noch unerkannt entkommen konnte, hatte er die Sicherheitsabteilung verstärken lassen. Wenigstens vier gut ausgebildete Männer waren bei jedem öffentlichen Auftritt um ihn und schirmten ihn ab.
Bender klopfte gegen das Mikrofon.
Alle Augen richteten sich auf ihn, Schweigen breitete sich im Raum aus. Es waren mehr Leute als sonst anwesend. Er räusperte sich, begrüßte die Anwesenden, bedankte sich für ihr Kommen. Sie hatten die Pressemappen bereits erhalten, wussten, worum es ging. »Wir gehen dem Verdacht eines sehr bedauerlichen und mit dem Rechtsverständnis unseres Hauses und dieses Landes nicht zu vereinbarenden Vorfalls nach.« Er suchte bei diesen Worten den Blickkontakt mit den wichtigsten Pressevertretern. »Wir haben die zuständigen Behörden bereits informiert und arbeiten an einer vollständigen und lückenlosen Aufklärung. Sie haben unsere Pressemitteilung gelesen. Bitte stellen Sie Ihre Fragen.«
»Ihrer Mitteilung entnehme ich, dass ein Mitarbeiter oder eine Gruppe von Mitarbeitern verdächtigt wird, in die Planung von illegalen Waffengeschäften mit den Taliban verwickelt zu sein. Eine schwere Anschuldigung. Wie groß ist das Ausmaß? Gibt es schon Zahlen?«, fragte eine zierliche dunkelhaarige Frau in der ersten Reihe. Bender kannte sie. Sie war angestellt bei einer der führenden Zeitungen der Stadt.
»Wie Sie richtig erwähnen, haben wir es mit einem Verdacht zu tun. Wir gehen momentan der Frage nach, wie begründet er ist. Noch haben wir Hoffnung, dass sich alles harmlos aufklären lässt. Sicher haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen aufgrund der laufenden Ermittlungen keine detaillierten Auskünfte geben kann.«
»Gibt es schon Erkenntnisse über mögliche Verbindungsleute in Afghanistan?«, wollte ein untersetzter älterer Agenturjournalist wissen.
»Wir stehen ganz am Anfang der Untersuchungen. Sie müssen das so sehen …« Bender appellierte an das Verständnis und verwies darauf, wie offensiv die Larenz-Werke mit der Situation umgingen. »Wir suchen ganz bewusst die Öffentlichkeit, wie Sie anlässlich dieser Pressekonferenz erkennen können.«
»Wird diese Krise Auswirkungen auf den Börsengang der Larenz-Werke haben?«, erreichte ihn eine Frage aus dem hinteren Drittel des Raums.
»Der Vorfall wird den Börsengang der Larenz-Werke nicht beeinflussen.« Bender beobachtete, wie die zierliche Dunkelhaarige in der ersten Reihe den Begriff »Larenz-Krise« in Druckbuchstaben auf ihren Unterlagen notierte und einen Kreis darum zog. »Das Unternehmen ist solide aufgestellt. Wir konnten unsere Gewinne vor Steuern im vergangenen Jahr trotz der schwierigen wirtschaftlichen Weltlage um weitere fünf Prozent steigern …«
»Was geschieht mit den betroffenen Mitarbeitern?«
»Wenn sich der Verdacht gegen sie erhärtet, wird es selbstverständlich Konsequenzen geben. Aber so weit sind wir noch nicht.«
»Ist die Staatsanwaltschaft eingeschaltet?«
»Wie ich bereits sagte, arbeiten wir eng mit den zuständigen Behörden zusammen.«
Mobiltelefone summten, erste Nachrichten wurden weitergegeben.
»Ich erfahre gerade aus Berlin, dass es von Seiten der Regierung keine Stellungnahme gibt«, meldete sich ein noch recht junger Mann mit schwarzer Hornbrille zu Wort. »Das lässt darauf
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