Die Marionette
findiger Anwalt hätte sie unter Umständen sehr schnell wieder auf freiem Fuß«, gab er zu bedenken. »Wir haben nur Indizienbeweise gegen sie. Vieths Blut auf ihrer Kleidung. Die Nähe zum Unfallort …«
»Dann sollten Sie sehr genau darauf achten, dass kein solcher Anwalt auch nur in ihre Nähe kommt«, bemerkte Mayer kühl.
Schaar sah ihn nachdenklich an. Dann nickte er langsam. »Ich verstehe«, sagte er schließlich. Durch das Fenster beobachtete Mayer, wie zwei Beamte der Landespolizei den Verhörraum betraten. Katja Rittmer verzog keine Miene und folgte ihnen widerstandslos. Doch im letzten Moment, bevor sie den Raum verließ, sah sie flüchtig zu der verspiegelten Scheibe hinüber. Eine unmerkliche Bewegung ihres Kopfes. Sie konnte ihn nicht sehen, dennoch hatte Mayer das Gefühl, dass ihr Blick ihn traf.
***
Sibylle Vieths Augen schienen zu groß für ihr schmales, blasses Gesicht zu sein, sie selbst viel zu zerbrechlich für ihre fortgeschrittene Schwangerschaft. Lange Zeit war es sehr still in dem großen Wohnzimmer, dessen Fensterfront Aussicht auf einen parkähnlichen Garten gewährten. Mayer wartete geduldig. Es war nicht das erste Mal, dass er eine solche Situation aushalten musste.
»Mein Mann soll sich umgebracht haben?«, fragte sie schließlich tonlos. »Milan?«
»Es tut mir wirklich leid, Ihnen diese Nachricht überbringen zu müssen«, wiederholte Mayer.
Ihre Hände umschlossen schützend ihren gewölbten Bauch. Ungläubig starrte sie Mayer an, schüttelte den Kopf. »Nein«, stieß sie hervor. »Nein, ich glaube das einfach nicht! Milan würde nie …« Sie brach ab, kämpfte mit den Tränen. »Wann … ist es passiert?«, fragte sie schließlich mit bebender Stimme.
»Laut Obduktionsbefund zwischen 20 und 21 Uhr.« Mayer räusperte sich. »Haben Sie sich nicht gefragt, warum Ihr Mann nicht nach Hause gekommen ist?«
»Nach Hause?«, wiederholte sie matt und runzelte die Stirn. »Milan wollte gestern Abend nicht nach Hause kommen, er wollte nach Berlin fahren, sich heute Morgen mit Rudolf treffen …« Sie brach ab.
»Rudolf?«
Sie sah zu Mayer, plötzlich angespannt. »Rudolf Hagedorn.« Schwerfällig stand sie auf. »Ich muss ihn anrufen.«
Mayer hielt sie zurück. »Wir werden das für Sie erledigen, bitte, setzen Sie sich wieder. Ich habe noch etwas für Sie.« Wortlos zog Mayer den Brief aus der Innentasche seines Jacketts und reichte ihn ihr, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. Hagedorn war einer der beiden parlamentarischen Staatssekretäre im Verteidigungsministerium. Vor nicht einmal drei Wochen hatte Mayer ihn in Afghanistan bei dem Besuch der Feldlager in Kundus und Mazar-i-Sharif begleitet. Vieth war ebenfalls zu der Zeit in Afghanistan gewesen. Welche Verbindung gab es zwischen Hagedorn und Vieth?
»Der Umschlag ist offen«, unterbrach Sibylles zitternde Stimme seine Gedanken.
Er räusperte sich. »Wir haben ihn geöffnet. Wir müssen das tun.«
Wieder traf ihn ihr Blick aus diesen viel zu großen Augen. »Dann wissen Sie ja bereits, was drinsteht.«
Er nickte.
Sie presste die Lippen aufeinander und legte den Brief auf den Couchtisch. Eine leichte, behutsame Bewegung, die Mayer ungewollt traf. »Frau Vieth, Ihr Mann …« Er räusperte sich erneut. »Er war in illegale Geschäfte verwickelt. Aus diesem Grund ist es nötig, dass Mitarbeiter der Hamburger Staatsanwaltschaft heute noch Ihr Haus durchsuchen …«
Sie reagierte nicht, und er fragte sich, ob sie ihn überhaupt gehört hatte.
»Frau Vieth …?«
»Ich habe Sie verstanden, Herr …«
»Mayer. Eric Mayer.«
Seine Karte lag unberührt auf dem Tisch. Neben dem Brief.
»Mayer. Richtig.« Mühsam stand sie auf, eine Hand im Rücken, wie um die Last ihres Bauches auszugleichen. »Sie müssen mich entschuldigen. Ich muss mich einen Moment hinlegen.«
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte er. »Jemanden anrufen?«
Sie war schon an der Tür zum Flur. »Nein. Ich möchte jetzt allein sein. Wenigstens einen Augenblick.«
Mayer folgte ihr. »Frau Vieth, ich möchte Sie in diesem Zustand nicht allein lassen.«
Sie wandte sich zu ihm um, ein unerwartet wütendes Blitzen in den Augen, doch bevor sie etwas sagen konnte, klingelte es an der Tür, und es war, als ob dieses kurze summende Geräusch jegliche Kraft aus ihrem Körper zog. Mit einem Schluchzen sackte sie in sich zusammen. Mayer konnte sie gerade noch auffangen und auf die Treppe setzen. Dann öffnete er. Vor ihm stand
Weitere Kostenlose Bücher