Die Marionette
gelassen?«
Mayer ließ sich durch ihre Provokation nicht aus der Ruhe bringen. »Das ist eine kühne Behauptung«, bemerkte er lediglich. »Wie kommst du dazu?«
»Ich arbeite derzeit für den Vorstand der Larenz-Werke in beratender Funktion«, erinnerte sie ihn. »Das sichert mir ersten Zugang zu Informationen.« Sie dachte an ihr Telefongespräch mit Meisenberg. Er war ebenso entsetzt gewesen wie sie, als er erfahren hatte, dass Milan derjenige gewesen sein sollte, der die Larenz-Werke in die Krise gezogen hatte. ›Das ist völliger Irrsinn‹, hatte er behauptet. ›Ebenso wie dieses Gerede von einem Selbstmord.‹
»Mir ist klar, dass Vieths Selbstmord vor allem dir und deinen Auftraggebern sehr gelegen kommt«, sagte sie nun zu Mayer. »Ihr müsstet unangenehme internationale und politische Geflechte erklären, wenn ihr zugebt, dass es sich um Mord handelt. Ist es nicht so?«
Mayer ging nicht auf ihre Frage ein, zog nur eine Augenbraue hoch. »Eins verstehe ich nicht, Valerie, warum engagierst ausgerechnet du dich für einen Konzern, der in illegale Waffengeschäfte verstrickt ist? Das passt nicht zu dir.«
Sie schluckte. »Ich helfe lediglich einem Freund.«
Eine unangenehme Stille folgte ihren Worten.
»Das hat dich schon einmal in eklatante Schwierigkeiten gebracht«, bemerkte Mayer nach einer Weile.
Sie versuchte die Nervosität zu ignorieren, die sein Blick und seine Nähe ungewollt in ihr auslösten. »Ich weiß, was ich tue«, erwiderte sie mit fester Stimme.
Auf der Straße fuhren zwei Fahrzeuge vor. Die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft. Valerie griff nach ihrer Tasche. Sie vermied es, noch einen Blick in Richtung des Arbeitszimmers zu werfen.
»Warte«, bat Mayer.
Sie sah ihn fragend an.
»Ich bin voraussichtlich nur noch heute in Hamburg.«
»Nur noch heute«, wiederholte sie. »Das heißt, wir sehen uns nicht mehr …«
»Wahrscheinlich nicht, nein.«
Draußen auf der Straße stiegen die Angestellten der Hamburger Justiz aus ihren Fahrzeugen.
»Das kommt … überraschend«, sagte Valerie zögerlich. »Ich hatte gedacht …« Sie suchte nach den richtigen Worten, während sie beobachtete, wie die Männer auf das Haus zueilten.
»Wir hätten mehr Zeit?«, half Mayer.
Das dezente Summen der Türklingel ertönte.
»Es wäre schön gewesen.«
Seine Hand lag schon auf der Klinke, aber er öffnete nicht. Ihre Blicke trafen sich. »Wir könnten heute Abend zusammen essen gehen«, sagte er ruhig.
Es klingelte erneut.
Valerie lächelte. »Ja, vielleicht sollten wir das einfach tun.«
***
Sibylle Vieth lag in einem Einzelzimmer auf der Entbindungsstation und starrte aus dem Fenster. Aus dem Nachbarraum war das Geschrei eines Säuglings zu hören, vom Flur Stimmen, ein Lachen. Valerie zog hastig die Tür zu. »Wie geht es dir?«, fragte sie leise.
Im hellen Sonnenlicht, das durch das große Fenster fiel, wirkte Sibylle noch blasser, noch fragiler. »Ich habe ein Beruhigungsmittel bekommen«, erwiderte sie, und ihre Hand glitt wie von selbst über ihren Bauch. »Nichts, was dem Baby schadet …«
»Das ist sicher das Beste für euch beide«, beeilte sich Valerie zu versichern.
»Ja … wahrscheinlich«, antwortete Sibylle abwesend. »Ich darf jetzt, wo Milan nicht mehr da ist, nicht auch noch das Kind verlieren.« Aus ihren großen dunklen Augen sprach eine solche Traurigkeit, dass es Valerie beinahe das Herz zerriss. Sie nahm Sibylles Hand in die ihre und suchte vergeblich nach tröstenden Worten. Gleichzeitig erinnerte sie sich, wie unbändig sich Milan auf das Kind gefreut hatte. »Milan hat sich nicht umgebracht«, sagte sie ruhig. »Er hätte dich nie allein gelassen.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Sibylle zu ihrer Überraschung.
»Du weißt …? Woher?«
»Er hat mir alles erzählt, als er aus Zürich zurückgekommen ist.« Mühsam setzte sich die schwangere Frau in ihrem Bett auf. »Wir müssen reden, Valerie. Ich brauche deine Hilfe.«
***
Hamburg, Deutschland
Katja Rittmer drückte ihren Kopf gegen die Gitterstäbe vor dem Fenster ihrer Zelle, bis der Schmerz sie zurückholte. Bis das Zittern nachließ und sich die Bilder auflösten. Sie wusste, dass sie beobachtet wurde, dass sie nur nach einem plausiblen Grund suchten, sie in eine psychiatrische Anstalt einzuliefern. Mundtot und fort. Langsam atmete sie ein und aus. Vor langer Zeit schon hatte sie gelernt, ihren Körper über den Rhythmus ihres Atems zu kontrollieren. Schmerz, Hunger und vor allem Angst
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