Die Marionette
für den Fall seines plötzlichen Ablebens sehr gut vorgesorgt hatte, indem er sensible Firmendaten kopiert und außer Haus geschafft hatte. Anscheinend war Milan davon ausgegangen, dass Bender für die Rückgabe der Daten nahezu jeden Preis zahlen würde, um den anstehenden Börsengang der Larenz-Werke nicht zu gefährden. Aber Bender plante nicht, sich oder den Konzern auf diese Weise benutzen zu lassen.
Die Protokolle aus der EDV -Abteilung bestätigten, dass Milan die entsprechenden Files zuletzt kurz vor seinem Tod bearbeitet hatte. Jetzt, wo alles zu spät war, zählten diese Protokolle zumindest als Beweis für Vieths Schuld. Bender unterdrückte ein Seufzen. Ausgerechnet Milan. Er hatte ihn anders eingeschätzt, aufgebaut als seinen Nachfolger, und sie waren ein gutes Team gewesen, bis Milan beschlossen hatte, seinen eigenen Weg zu gehen. Bender legte Richters Bericht auf seinen Schreibtisch. Hätte er verhindern können, was passiert war? War er nicht aufmerksam genug gewesen?
Richter räusperte sich dezent. »Ich habe inzwischen die Mitarbeiter ausgewählt, die Sie nach Afghanistan begleiten werden«, fuhr er fort, als er sich Benders Aufmerksamkeit versichert hatte. Es war ihm anzumerken, dass er das Gespräch beenden wollte. Er war ein erstklassiger Mann, der die Sicherheitsabteilung zu Benders vollster Zufriedenheit von Grund auf neu organisiert hatte, bei Einmischung in seine Arbeit bisweilen jedoch empfindlich reagierte. »Es handelt sich um vier Männer mit langjähriger Auslandserfahrung«, informierte ihn der Sicherheitschef. »Ich möchte Sie bitten, sich im Zweifelsfalle ihrem Urteil zu beugen. Das Auswärtige Amt wird für die weitere Sicherheit vor Ort sorgen. Ich habe die Kontakte bereits hergestellt und Ihre Reisedaten und Termine weitergegeben.« Er reichte Bender eine Mappe. »Hier finden Sie alle nötigen Unterlagen.«
Bender nahm sie dankend entgegen. »Ich bin mir sicher, dass Sie wie immer alles perfekt vorbereitet haben.« Er wusste, dass Richter ihn gern persönlich auf der Reise begleitet hätte. Der Sicherheitschef hatte es mehrfach erwähnt, Bender hatte jedoch gute Gründe, diesen Wunsch zu ignorieren. Mit Richter an seiner Seite würde er keinen Schritt unbeobachtet machen können. Der Mann nahm seine Arbeit sehr ernst.
Nachdem Richter sein Büro verlassen hatte, trat Bender ans Fenster und blickte lange über die Hafenanlagen. Die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser, im Hintergrund hörte er durch das halb geöffnete Fenster das Scheppern der Kräne und das monotone Klopfen eines Hammers auf Metall.
Morgen würde er auf die Beerdigung gehen. Es würde ein Spießrutenlaufen vor der Presse werden. Seit der Pressekonferenz stand das Telefon in der PR -Abteilung des Konzerns nicht mehr still. Auf Anraten von Vombrook und Weymann hatten sie nach Bekanntwerden von Milans Selbstmord nur eine knappe Bestätigung rausgegeben, aber die Medien gierten nach mehr. Zahlreiche Interview-Anfragen waren eingegangen. Die Afghanistan-Reise war eine Flucht nach vorn. Die Idee des externen PR -Beraters. ›Mit positiven Schlagzeilen ablenken‹, lautete sein Credo. ›Die Larenz-Werke sind einer der größten deutschen Investoren in Afghanistan. Zeigen Sie, was Ihr Unternehmen dort alles leistet. Treffen Sie sich mit Regierungsvertretern. Machen Sie deutlich, wie dieses Engagement Arbeitsplätze in Deutschland sichert.‹ Bender hatte sich daraufhin persönlich mit dem Kanzleramt in Verbindung gesetzt und sich der Unterstützung von höchster Stelle für seine Mission versichert. So war es gelungen, selbst in der kurzen Zeit eine anspruchsvolle Agenda zusammenzustellen, die auch einen Besuch auf einem amerikanischen Stützpunkt vorsah. Darauf hätte Bender gern verzichtet, doch Berlin hatte darauf bestanden. »Nach der verheerenden Berichterstattung in den amerikanischen Medien müssen wir demonstrieren, dass vor Ort absolute Einigkeit herrscht und wir dieselben Ziele verfolgen«, hatte es aus dem Kanzleramt geheißen. Bender wusste, dass er derzeit nicht in der Position war, eine solche Forderung abzuschlagen. Er würde seine Schuld abtragen. Nach Milans Beerdigung würde er von Berlin aus mit einem Regierungsflugzeug und Unterstützung der Regierung an den Hindukusch fliegen. Eine heikle Mission.
***
Hamburg, Deutschland
In den vergangenen zwei Tagen hatte Valerie kaum Gelegenheit gehabt, über ihr unverhofftes Wiedersehen mit Eric Mayer nachzudenken. Anderthalb Jahre hatten nicht genügt,
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