Die Marionette
die Nähe zwischen ihnen aufzulösen, die Vertrautheit, die gewachsen war aus ihren gemeinsamen Erlebnissen. Er wusste mehr als jeder andere über sie. Selbst als Marc, ihr Mann. Eric Mayer hatte sie gesehen, schutzlos und zerstört. Der BND -Agent hatte sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt. Sie hatte oft an ihn gedacht in den vergangenen achtzehn Monaten. Sich gefragt, wo er war, was er machte. ›Ich war ein Jahr in Damaskus‹, hatte er erzählt, als sie ihm diese Frage endlich hatte stellen können. Die vergangenen sechs Monate hatte er in Afghanistan verbracht, und das wenige, was er über seine Arbeit preisgab, genügte, um zu verstehen, dass er ganz oben mitmischte und dass er immer noch sein Leben riskierte. ›Das ist mein Job‹, hatte er einmal zu ihr gesagt. Damals.
Natürlich hatte auch er Fragen. Diese eine Frage, von der sie wusste, dass sie kommen würde, kommen musste, und die sie gefürchtet hatte. Er hatte sich Zeit gelassen, fast den halben Abend. Doch dann hatte er sie über den Rand seines Weinglases hinweg fixiert: »Und wie geht es dir?«
»Mir geht es gut. Es ist alles in Ordnung.« Es war ihr gelungen, die beiden Sätze ohne Zittern, ohne Stolpern zu artikulieren. Aber sie sah ihm an, dass er ihr diese Lüge nicht abnahm. Es ging ihr nicht gut, seit er da war. Er löste eine Flut von Erinnerungen aus.
Wir hatten nur zu wenig Zeit.
Es war immer zu wenig Zeit. Bedauern hatte in seinen dunklen Augen gelegen bei ihrem Abschied. Ehrliches Bedauern. Als sie daran dachte, schlossen sich ihre Finger fester um das Lenkrad ihres Wagens.
***
Kabul, Afghanistan
Don Martinez starrte aus dem Fenster der von Mauern und NATO -Draht umgebenen amerikanischen Botschaft auf die Straße, die gepflastert war mit gelben Taxis. Auf der gegenüberliegenden Verkehrsinsel versuchte ein afghanischer Polizist in der gleißenden Sonne den Verkehr zu regeln, der hier vor allem vom leistungsstärkeren Motor bestimmt wurde. Im Hintergrund sah der CIA -Agent die braunen Halden des Vorgebirges. Alles was dahinterlag, verbarg sich im Dunst, der ewig über dieser Stadt zu hängen schien. Ein Dunst aus Staub, Abgasen und dem Qualm der Holzfeuer, die selbst jetzt im Frühjahr noch die ganze Nacht brannten, wenn die Temperaturen immer wieder in die Nähe des Gefrierpunktes sanken. Männer in sandfarbenen Kaftanen eilten zwischen den Fahrzeugen hindurch. Am Straßenrand saßen zwei verhüllte Frauen wie leuchtende hellblaue Geister. Ein gepanzertes Fahrzeug fuhr vorbei. Soldaten mit Maschinenpistolen. Ein völlig überladener Eselskarren.
Martinez wandte sich ab. Kabul war ein verdammtes Dreckloch. Das ganze Land ein Grab für verlorene Hoffnungen. Jetzt, wo er hier war, fragte er sich, welcher Teufel ihn geritten hatte, sich auf diesen Auftrag einzulassen.
Die Tür öffnete sich. »Hallo, Don, schön, dass Sie da sind. Hatten Sie einen guten Flug?«
Martinez erwiderte das joviale Lächeln des Botschaftssekretärs nicht und ignorierte auch die zur Begrüßung ausgestreckte Hand. Er nickte nur kurz, dann schulterte er seinen Rucksack. Er hatte seit mehr als vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war sinnloser Smalltalk.
»Zeigen Sie mir einfach mein Zimmer«, sagte er und bemerkte, wie der Sekretär unter seinem kühlen Blick nervös zuckte, wie die aufgesetzte Fassade bröckelte. Niemand traf gern auf einen Verhörspezialisten der CIA . Und schon gar nicht auf einen von Martinez’ Ruf. »Und bringen Sie mir alle Unterlagen, die ich brauche«, fügte er hinzu. Der Sekretär eilte zur Tür hinaus. Martinez folgte ihm schweigend. Er würde seinen Job erledigen und dieses Land so schnell wie möglich wieder verlassen.
***
Hamburg, Deutschland
»Komm nicht auf dumme Gedanken, Eric!«, drohte Katja. Mit beiden Händen hielt sie den Revolver auf ihn gerichtet. »Gib mir deine Waffe!«
Er rührte sich nicht, musterte sie nur aus leicht zusammengekniffenen Augen. Er hatte nichts von seiner Gefährlichkeit verloren, das wurde ihr in diesem Moment bewusst. Ganz im Gegenteil. Die kleinste Unaufmerksamkeit ihrerseits würde ihm genügen.
»Deine Waffe, Eric«, wiederholte sie leise.
Endlich griff er mit der Hand unter sein Jackett, zog die Waffe heraus und legte sie vor sich auf den Boden. Trat einen Schritt zurück.
»Jetzt zum Wagen«, befahl Katja erleichtert.
Der SUV stand nur wenige Meter weiter am Straßenrand. Langsam, viel zu langsam bewegte er sich darauf zu. Sie hob seine Waffe
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