Die Marionette
ein Hotelzimmer gebucht?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen reden.«
»Du musst dich erst einmal ausruhen.«
»Nein, ich …«
»Wir fahren zu mir«, sagte sie.
»Das ist keine gute Idee«, widersprach er. Nur mühsam hielt er mit ihr Schritt.
Sie wusste plötzlich, wohin sie ihn bringen konnte. Er blinzelte in das helle Licht, als sie das Bahnhofsgebäude verließen. »Mein Wagen steht da vorn, wir sind gleich da«, sagte sie.
Mit einem Seufzer der Erleichterung fiel er auf den Beifahrersitz, ließ den Kopf gegen die Lehne sinken und schloss die Augen. Er regte sich nicht, als sie den Wagen Richtung Alster lenkte. Was war mit ihm geschehen? War er krank, verletzt oder einfach nur erschöpft?
Florian Wetzel war entsetzlich in Sorge um Eric gewesen, nachdem er in Afghanistan verschwunden war. »Er ist wie vom Erdboden verschluckt«, hatte er gesagt.
»Und was heißt das?«, hatte sie wissen wollen.
Sein Schweigen war deutlich gewesen.
Sie hatte versucht, nicht an Eric zu denken, nicht daran, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Aber es war unmöglich gewesen. Am frühen Morgen hatte sie Marc zum Flughafen gebracht, der nach Hongkong geflogen war. Er war irritiert gewesen über ihr fahriges Verhalten. »Ich bin einfach noch müde«, hatte sie sich entschuldigt.
Jetzt lenkte sie den BMW in eine Nebenstraße am nördlichen Rand der Außenalster. Betätigte die Fernbedienung für eine Tiefgarage. Eric schreckte hoch. »Wo sind wir?«
»Meiner Kanzlei gehören im Haus zwei Appartements«, erklärte sie. »Für Gäste.«
Er hatte weder einen Blick für den weißen Marmor im Treppenhaus noch für die grandiose Aussicht des Zwei-Zimmer-Appartements über die Alster bis hin zur Innenstadt, wo sich die Türme der Kirchen und des Rathauses in einen hellblauen Frühlingshimmel reckten.
»Es darf absolut niemand wissen, dass ich hier bin«, sagte er. Er war entsetzlich angespannt. Sie hatte ihn noch nie so erlebt.
»Niemand wird etwas erfahren«, versprach sie. »Warum duschst du nicht erst einmal? Kleidung zum Wechseln findest du in den Schränken im Schlafzimmer. Irgendwas wird schon dabei sein, was dir passt. In der Zwischenzeit besorge ich etwas zu essen.«
Er stützte sich am Türrahmen ab, nickte. »Aber dann reden wir.«
Die Badezimmertür schloss sich hinter ihm. Sie wusste, dass er dort alles finden würde, was er brauchte. Sie hatten bisweilen Gäste, die ungeplant eine Nacht blieben.
Sie nahm ihre Tasche, doch auf halbem Weg überlegte sie es sich anders, ging zurück in die Küche und brühte ihnen einen Kaffee auf. Im Bad lief das Duschwasser. Es dauerte nicht lange, bis er fertig war. Sie hörte, wie die Tür aufging, und trat aus der Küche.
»Du bist ja noch hier«, sagte er überrascht.
Mit einem Handtuch um die Hüften stand er in der Badezimmertür und fuhr sich mit der Hand durch das feuchte Haar. Ihr Blick blieb an der Tätowierung auf seiner rechten Schulter hängen, den Buchstaben und Zeichen, dann sah sie in sein Gesicht, das schon nicht mehr ganz so grau war wie noch Minuten zuvor. »Ich dachte, es wäre vielleicht besser, wenn ich bleibe«, sagte sie. »Ich habe uns Kaffee gekocht. Willst du einen?«
Er nickte. »Ich ziehe mir nur schnell was an.«
Über seinen Rücken zog sich eine alte, tiefrote Narbe, verschwand unter dem Handtuch. Ihre Finger schlossen sich fester um den Kaffeebecher in ihrer Hand, als ihr bei dem Anblick klar wurde, auf was sie sich einließ: Sie versteckte einen BND -Agenten, der sehr wahrscheinlich auf der Flucht war. Erics desolater Anblick auf dem Bahnhof und die Angst, die sie seit mehr als vierundzwanzig Stunden um ihn gehabt hatte, hatte sie völlig vergessen lassen, wie gefährlich es war, sich mit ihm und seinesgleichen einzulassen.
Renn!,
forderte eine Stimme in ihr.
Renn schnell und weit weg!
In dem Moment öffnete sich die Schlafzimmertür. Eric trug Jeans und ein dunkles Poloshirt. Ein ungewohnter Anblick. Warum hatte er sich ausgerechnet an sie gewandt? Sie nahm einen weiteren Becher aus dem Schrank und schenkte ihm Kaffee ein, versuchte, ihre Nervosität zu ignorieren. »Was ist passiert?«, fragte sie.
Eric antwortete nicht sofort. Er setzte sich auf die Lehne des Sessels, der hinter ihm stand, und sie merkte, wie er gegen seine Müdigkeit ankämpfte. »Niemand außer dir weiß, dass ich in Deutschland bin«, sagte er, »alle nehmen an, ich sei in Afghanistan untergetaucht. Das verschafft mir die Zeit, die ich
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