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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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scannte sich durch die Seiten und kopierte alle relevanten Dateien auf ihren Rechner. Der Download dauerte länger, als sie erwartet hatte. Nervös tippte sie auf das Armaturenbrett, beobachtete die verlassene Straße. Ein Wagen bog am anderen Ende ein, die Lichtkegel blendeten sie. Sie kroch in ihrem Sitz in sich zusammen und klappte den Bildschirm herunter. Langsam rollte der Wagen an ihr vorbei. Hielt ein Stück weiter. Ein Pärchen stieg aus, verschwand in einem der Eingänge der gegenüberliegenden Häuserzeile. Katja richtete sich wieder auf. Der Download war endlich abgeschlossen. Sie fuhr den Rechner herunter und startete den Motor. Augenblicke später hatte sie die Stadt hinter sich gelassen und bog auf die Autobahn ein. An der erstbesten Raststätte hielt sie. Der Parkplatz war völlig überfüllt mit Lkws. Ein paar Fahrer standen an einem Führerhaus zusammen, rauchten und unterhielten sich. Sie spürte ihre Blicke auf sich, als sie an ihnen vorbeiging. Das Selbstbedienungsrestaurant war nur spärlich besetzt. Aus einem Lautsprecher dudelte das Nachtprogramm eines regionalen Radiosenders, dazu ertönte die für diese Nachtzeit unangemessen aufgekratzte Stimme des Moderators. Katja holte sich einen Kaffee und setzte sich an einen der Tische in eine Ecke, von der aus sie das gesamte Restaurant und seine Eingänge überblicken, und wo niemand im Vorbeigehen zufällig auf den Schirm ihres Laptops blicken konnte. Dann begann sie zu arbeiten. Sie konnte es noch immer. Trotz des Traumas oder vielleicht auch gerade deswegen. So war es schon in Afghanistan gewesen. Wenn sie einen Auftrag hatte, war sie intakt, arbeitete ohne Probleme. Es gab nur das Ziel, das erreicht werden musste. Sie hatte gelernt, ihr ganzes Sein darauf zu fokussieren. Für den Moment zu leben. Was danach kam, war irrelevant. Es gab Zeiten, in denen ihr bewusst wurde, dass dieses Streben krankhaft sein musste, ihr Verstand sich jenseits der Normalität bewegte. Sie funktionierte wie eine Kampfmaschine, seelenlos und präzise. Doch anders als eine Maschine, konnte sie nach der Erfüllung des Auftrags nicht abschalten. Der Motor lief weiter, immer weiter, gierig nach mehr, um die Gedanken und Bilder auszublenden, die im Leerlauf aus ihrem Unterbewusstsein aufstiegen. Hässliche Bilder: eine abgerissene Hand im Dreck, eine blutige Kindersandale, der stumme Schmerz in den Augen eines sterbenden Kameraden. Es waren vor allem die Augen, die sie verfolgten bis in ihre Träume, ängstliche, schmerzerfüllte oder einfach leere Augen, die ihr aus toten Gesichtern entgegenstarrten, sie bedrängten, bis sie zitternd und schweißgebadet aufwachte. Der Krieg ist in deinem Kopf, hatte Eric Mayer vor wenigen Tagen noch in Hamburg zu ihr gesagt. Du musst ihn loswerden. Eric hatte sie genauso verraten wie alle anderen. Genauso betrogen.
    Sie stand auf und holte sich noch einen Kaffee. Draußen hielt ein Bus, und eine Reisegruppe bevölkerte kurzfristig das Lokal, aber niemand störte sie, während sie in allen Details ihren Plan ausarbeitete. Jeder noch so kleine Schritt war entscheidend. Das hatte sie im Krieg gelernt. Wer die Details missachtete, scheiterte.
    ***
    Hamburg, Deutschland
    Als der Wecker klingelte, hatte Eric Mayer das Gefühl, gerade erst die Augen geschlossen zu haben. Die Sonne war bereits hinter den Dächern der Häuser jenseits der weiten Wasserfläche der Alster verschwunden. Die Leuchtziffern der Uhr zeigten 20:45 Uhr; er hatte fast sechs Stunden geschlafen. Die Versuchung war groß, einfach liegen zu bleiben, die Augen noch einmal zu schließen und auszublenden, was geschehen war.
    Die Nachricht von Chris’ Tod hatte ihn trotz seiner Erschöpfung lange nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Trauer um seinen Freund begleitete ihn, seit er dessen verstümmelten Körper im Feldlazarett in Afghanistan gesehen hatte. Mit anzusehen, was der Krieg mit Katja gemacht hatte, hatte hilflose Wut in ihm ausgelöst. Es gab nur wenige Menschen, mit denen ihn eine so enge Freundschaft verband wie mit diesen beiden. Sie stammte aus einer anderen Zeit seines Lebens, einer verrückten und gefährlichen Zeit. Und es war nicht zuletzt die Gefahr gewesen, die sie zusammengeschweißt hatte, die aus ihnen ein Team gemacht hatte, in dem sich jeder blind auf den anderen hatte verlassen können. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, was aus ihm geworden wäre, wenn er vor sechs Jahren nicht den Absprung geschafft hätte. Wenn nicht ein Mitarbeiter des BND damals im Irak

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