Die Marionette
Maske, mit der Bender sowohl die größten Bilanzgewinne wie auch die Streichung von Tausenden Stellen verkünden konnte, mit der er Politiker besänftigte und Journalisten belog, hatte Risse bekommen. Nicht zuletzt durch den Tod des Senators.
»Die gesamte Reise war eine Farce«, sagte er wenig später vor dem Krisenstab, der um eine kurze Stellungnahme zu den Geschehnissen in Afghanistan gebeten hatte. »Es dürfte wohl kaum meine Aufgabe sein, die Ausfälle Ihrer Mitarbeiter zu kompensieren.« Natürlich wusste jeder im Raum, dass er damit auf Eric Mayer anspielte.
»Ausgerechnet er. Das hätte niemand für möglich gehalten«, raunte ihm ein ranghoher Mitarbeiter des Bundeskanzleramts wenig später zu. »Es ist unfassbar, einer unserer Top-Leute.«
Genau aus diesem Grund würde die Geschichte nie die Öffentlichkeit erreichen, ein Umstand, den Bender fast bedauerte. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, die Verantwortlichen innerhalb der Larenz-Werke endgültig von jeder Schuld reinzuwaschen. Aber das letzte Wort war in diesem Fall noch nicht gesprochen. Jemand würde die Verantwortung übernehmen müssen. Jemand in diesem Raum. Er blickte in die angespannten Gesichter und empfand eine gewisse Genugtuung. Mayer war noch immer nicht gefasst. Niemand wusste, wo er sich aufhielt. Und wenn alles nach Plan lief, würde er auch nicht wieder auftauchen.
»Der Verteidigungsminister wird morgen persönlich den Trauerfeierlichkeiten für die in der vergangenen Woche in Afghanistan getöteten Soldaten beiwohnen, eventuell sogar die Kanzlerin«, wandte sich der Staatssekretär des Hauses an Bender. »Sowohl das Verteidigungsministerium als auch das Bundeskanzleramt rechnen fest mit Ihrer Teilnahme, Herr Bender.«
Der höflich formulierte Befehl ließ Bender mit den Zähnen knirschen. Er sollte öffentlich Demut zeigen. Was hatte er denn in den vergangenen Tagen getan? Er schätzte es nicht, herumkommandiert zu werden. Er war sich durchaus bewusst, welche Macht die Bilder besitzen würden, die den Vorstandsvorsitzenden der Larenz-Werke neben der Kanzlerin und dem Verteidigungsminister zeigen würden. Gerwin Bender, der öffentlich den Angehörigen kondolierte. Eine Chance, die er sich nicht entgehen lassen durfte. »Morgen schon«, erwiderte er dennoch stirnrunzelnd und mit dem Wissen, dass eine sofortige Zusage Schwäche signalisieren würde. »Ich muss erst Rücksprache mit meinem Büro halten.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Sie erhalten in den nächsten zwei Stunden eine Rückmeldung.« Ein Lächeln, ein Schulterklopfen. Dann wandte er sich an den Vertreter des Wirtschaftsministeriums. »Wir haben trotz der Aufregung noch einige interessante Gespräche mit unseren afghanischen Partnern führen können«, sagte er gerade laut genug, dass auch alle anderen Anwesenden aufhorchten. »Letztlich war unsere Reise nicht vergeblich. Wir würden die Ergebnisse gern sobald wie möglich in kleiner Runde vorstellen.« Eine höfliche Floskel, mit der er nichts weniger als die Unterstützung der Regierung einforderte. Auch er beherrschte das Spiel.
***
Rheinland-Pfalz, Deutschland
Katjas Augen flogen über den Bildschirm. Sie war drin. Das gesamte Sicherheitskonzept präsentierte sich vor ihren Augen. Sie tastete nach ihren Zigaretten und warf einen Blick aus dem Autofenster auf die beleuchtete Häuserfront, vor der sie im Dunkeln parkte, und fragte sich, ob sie den Typen verhaften würden, über dessen Internetzugang sie sich soeben in das System des Verteidigungsministeriums gehackt hatte. Zumindest würden sie seinen Computer beschlagnahmen und eine Hausdurchsuchung machen, vermutlich unter dem Vorwand, dass er illegal Musik oder Filme aus dem Netz kopiert hatte. So machten sie es immer, wenn sie einen Verdacht hatten, aus sicherheitspolitischen Gründen jedoch nicht gleich in die Offensive gehen konnten. Sie hatte kein schlechtes Gewissen deswegen, denn sie würden nichts bei ihm finden. Der Mann würde ein paar schlaflose Nächte haben und künftig sein WLAN sichern. Das war alles. Eine kleine Lektion.
Sie blies den Rauch durch die heruntergelassene Scheibe hinaus. Irgendwo bellte ein Hund, aus einer Kneipe ein Stück die Straße runter drangen Stimmen heraus. Musik. Der Schein des beleuchteten Kneipenschildes über der Tür spiegelte sich in der Dunkelheit auf dem nassen Asphalt. Vor nicht einmal einer halben Stunde hatte es angefangen zu regnen. Sie konzentrierte sich wieder auf die Bilder auf ihrem Laptop,
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