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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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auf ihn aufmerksam gemacht: »Da ist der Olympia-Mann.« Als sie aufgesehen hatte, hatten sich über das Deck hinweg ihre Blicke getroffen, und in seinem hatte dieselbe Mischung aus Herausforderung und Unsicherheit gelegen wie jetzt. Der Olympia-Mann. Er hatte zum Kader der Biathleten gehört. Hatte mit dem deutschen Team Silber geholt bei den Winterspielen. Er war so ehrgeizig gewesen. »In vier Jahren holen wir Gold«, hatte er ihr stolz erzählt, als sie ihn auf seinen Sport angesprochen hatte. Seine Prophezeiung hatte sich bewahrheitet, die deutschen Biathleten hatten sich vier Jahre später tatsächlich Gold erkämpft, aber Marc war nicht dabei gewesen. Er hatte das Training aufgegeben, um an der Seite seines Vaters die Reederei zu leiten, nachdem sein Bruder bei einem Segelunfall verunglückt war. Sie waren damals schon verheiratet gewesen, und Valerie hatte gehofft, dass er sich dem Druck seiner Familie entziehen könnte, aber er hatte die Aufgabe ernst genommen, wie alles, was er in seinem Leben anpackte. Und im Laufe der Jahre hatte ihm diese Aufgabe, die Gesellschaft, in der er sich bewegen musste, die Ecken und Kanten abgeschliffen und ihn glatt und geschmeidig werden lassen. Valerie begriff, dass sie den Marc von damals vermisste, den Olympia-Mann. Sie nahm seine Hand und begleitete ihn auf die Tanzfläche. Sie sprachen nicht miteinander, doch hin und wieder trafen sich ihre Blicke. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. »Willst du dich scheiden lassen?«, fragte sie.
    »Ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte er.
    Die Kapelle spielte einen langsamen Walzer. Auf der Tanzfläche wurde es immer voller. Valerie sah, wie Bender mit einer hochgewachsenen Frau mit sehr kurzem dunklem Haar in einem silbergrauen Kleid ganz in ihrer Nähe tanzte. Er lachte über etwas, was sie ihm ins Ohr flüsterte. Sie war deutlich jünger als er. Bender war nie mit Affären ins Gerede gekommen, nicht einmal in Insider-Kreisen, dabei hatte es in seinem Leben vermutlich genug Angebote und Gelegenheiten dazu gegeben. Bei dem Anblick der beiden fragte sich Valerie unwillkürlich, ob er jetzt damit anfangen würde. In diesem Moment drehte Benders Tanzpartnerin sich um. Valerie erstarrte.
    »Was ist?«, fragte Marc.
    »Da ist Katja Rittmer«, stieß sie leise hervor. Ungläubig starrte sie auf die Frau in Benders Arm. Was machte Katja Rittmer hier in Hamburg auf dem Presseball? Und was blitzte da in der Hand der hochgewachsenen Frau auf? Hatte sie eine Waffe? Benders Gesichtsausdruck bestätigte ihre Vermutung. Er war plötzlich kalkweiß. Jegliches Lachen war verschwunden. Schweiß perlte auf seiner Stirn.
    Katja bewegte sich mit Bender auf den Rand der Tanzfläche zu. Niemand schien zu bemerken, was vor sich ging. Es war wie in einem Alptraum. Die Musik spielte, die Menschen tanzten, lachten, während sich in ihrer Mitte ein tödliches Drama abspielte. Valerie begegnete Benders Blick, kurz bevor er mit Katja in der Menschenmenge verschwand. Valerie raffte den Rock ihres langen Kleides, doch Marc hielt sie zurück, als er begriff, was sie vorhatte. »Valerie, nicht, das ist zu gefährlich.«
    Sie schüttelte seine Hand ab. »Ich kann sie vielleicht aufhalten. Ruf die Polizei.«
    Katja kannte sie. Sie hatte sie aus der Untersuchungshaft geholt. Vertraute sie ihr noch?
    Bender und Katja hatten inzwischen das Foyer erreicht.
    »Katja!«, rief Valerie.
    Katja blieb stehen, drehte sich zu ihr um, ließ Bender aber nicht los. Unter ihrem paillettenbesetzten Schal war die Waffe zu erkennen, deren Lauf sie Bender durch den Stoff seines Smokings hindurch unter die Rippen drückte.
    »Katja …«
    »Sie sollten wieder reingehen, Valerie«, sagte die Ex-Soldatin leise.
    Niemand um sie herum schien zu begreifen, was geschah. Valerie machte einen weiteren Schritt auf Katja zu. Sie musste Zeit gewinnen, Katja aufhalten, bis die Polizei da war. »Ich möchte nur mit Ihnen reden.«
    »Bleiben Sie stehen«, warnte Katja sie. »Oder ich erschieße ihn auf der Stelle.«
    Bender war noch immer weiß wie eine Wand, aber er verzog keine Miene. Er starrte Valerie jedoch so eindringlich an, als wolle er ihr wortlos etwas mitteilen.
    »Katja, lassen Sie den Mann gehen«, bat Valerie, ohne Bender aus den Augen zu lassen. »Nichts, was Sie tun, macht Chris wieder lebendig.«
    »Nein«, sagte Katja. »Aber es verhindert, dass noch mehr Soldaten sterben.«
    Bender zuckte zusammen, als sie ihm den Lauf noch fester unter die Rippen presste und ihn zwang,

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