Die Marionette
zusammen und trug es in die Küche. Vielleicht war er nach allem, was in den vergangenen Tagen geschehen war, einfach paranoid, aber das Letzte, woran er glaubte, war an die Zufälligkeit von Sibylle Vieths Besuch.
Die Schlinge zog sich zu. Langsam und unerbittlich. Er versuchte, den Gedanken abzuschütteln, die düstere Vorahnung, die ihn, seit er den Anruf der EDV -Abteilung erhalten hatte, begleitete, aber es gelang ihm nicht.
»Du siehst aus, als ob dich deine Fliege gleich erwürgt«, bemerkte Juliane mit einem Augenzwinkern kurz vor ihrem Aufbruch. Sie wusste, dass der Presseball, zu dem sie geladen waren, eine reine Pflichtveranstaltung für ihren Mann war, und nahm an, dass seine leichte Gereiztheit darauf zurückzuführen war.
Vor dem Hotel Atlantic reihten sich bereits die Limousinen, die ihre Gäste ausspuckten in das Blitzlichtgewitter der Fotografen. Die Veranstaltung war eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse in der Hansestadt. Juliane trug ein langes schwarzes Kleid, das durch seine Schlichtheit an Eleganz kaum zu überbieten war, sie zog trotz ihres Alters die Blicke der Männer auf sich. Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Tisch erreicht hatten. Auf der Fahrt in die Stadt hatte Juliane ihren Mann darüber informiert, dass sie mit den Vombrooks und Meisenberg zusammensitzen würden. Die beiden Männer erhoben sich, als sie an den Tisch traten, Maria Vombrook lächelte gewinnend. Sie war Italienerin. Vombrook hatte sie vor wenigen Jahren erst auf einem Juristentreffen in Mailand kennengelernt. Eine schlagfertige, warmherzige Frau, die auf Anhieb Julianes Herz erobert hatte.
Bender ließ den Blick durch den Raum schweifen. Was Rang und Namen in der Stadt hatte, war vertreten. An ihrem Tisch waren noch zwei Plätze frei. »Wen erwarten wir noch?«, fragte Juliane.
»Valerie Weymann und ihren Mann«, antwortete Maria Vombrook. »Ich glaube, da kommen sie schon.«
Erneut bemühte sich Bender an diesem Tag um einen neutralen Gesichtsausdruck, als die beiden auf sie zukamen. Valerie stand Juliane an Eleganz in nichts nach, nur dass sie rund zwanzig Jahre jünger war als seine Frau. Sie trug ihr langes dunkles Haar kunstvoll aufgesteckt und schritt an der Seite ihres Mannes selbstbewusst durch den Saal. Die beiden waren ein äußerst attraktives Paar, aber etwas in ihrer Haltung ließ Bender aufmerken, etwas stimmte nicht. Marc Weymann, der in der Stadt durchaus als charmanter Partygänger galt, wirkte alles andere als ungezwungen, als er die Runde begrüßte und seiner Frau den Stuhl zurechtrückte. Valerie und Meisenberg vermieden Augenkontakt. Vombrook konzentrierte sich auf sein Getränk. Lediglich Maria plauderte locker mit ihren Tischnachbarn. Benders Müdigkeit war mit einem Mal verflogen. Bedächtig hob er sein Glas und lächelte in die Runde. »Jetzt, wo wir vollzählig sind, sollten wir auf einen gelungenen Abend anstoßen.«
***
Hamburg, Deutschland
Valerie nippte nur an ihrem Champagner und stellte das Glas auf den Tisch zurück. Beinahe wäre sie zu Hause geblieben. Marc stocherte mit seiner Kirsche lustlos im Glas herum. Seit zwei Tagen sprachen sie nur das Nötigste miteinander und gingen sich, wenn möglich, aus dem Weg. Die aufgestauten Emotionen hatten sich dann kurz vor dem Ball in einem unschönen Streit entladen. Ein völlig nichtiger Anlass, eine alberne Lappalie, hatte genügt, sie aufeinander losgehen zu lassen wie zwei tollwütige Hunde. Valerie war von dieser Heftigkeit so entsetzt gewesen, dass sie vorgeschlagen hatte, für eine Weile aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen, damit sie beide Abstand gewinnen konnten. Auf der Fahrt zum Atlantic hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Sie fragte sich ernsthaft, wie der Abend unter diesen Umständen werden sollte.
Die Kapelle begann wieder zu spielen. Irgendein altes Stück aus den Fünfzigern. Bender reichte seiner Frau die Hand. »Wie ist es, meine Herren«, wandte er sich an Vombrook und Marc, »wollen wir dem Nachwuchs mal zeigen, wie es geht?«
Maria lachte und stieß Andreas in die Seite, der sofort pflichtschuldig aufstand. Valerie spürte Marcs Blick auf sich. Sie sah auf, und etwas in seinen Augen erinnerte sie plötzlich an ihre erste Begegnung, nur ein paar Schritte vom Hotel Atlantic entfernt auf dem Gelände des Segelclubs direkt an der Alster. Es war ein wunderschöner Sommerabend gewesen, die perfekte Kulisse. Marc war erst gekommen, als alle schon da waren. Eine ihrer Freundinnen hatte sie
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