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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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an.
    »Langsam, langsam«, empfahl Felix, als sich Juliane ein großes Stück Brot hastig abriß, in den Mund steckte und beinahe daran erstickte. Bevor er selbst etwas aß, reichte Matthäus dem Pferd einige Rüben.
    »Wenn irgend jemand in diesem Krieg einen Orden verdient, ist es dieses Pferd«, sagte er zu Felix und lehnte sich erschöpft gegen den Wagen. »Wie geht es dem Herrn Oberleutnant?«
    »Gut, weil er schon vor drei Tagen in Smolensk angekommen ist. Da gab es noch genug zu essen.«
    Juliane hielt im Kauen inne.
    »Was sagen Sie da? Ich dachte, daß das hier unser Winterquartier sein wird!«
    Felix lachte kurz auf.
    »Vom Winterquartier spricht keiner mehr, Assenheimerin«, sagte er, »jetzt geht's so schnell wie möglich zur polnischen Grenze.«
    »Und wie weit ist das noch?«
    »Wir haben etwas weniger als die Hälfte hinter uns. Also mindestens noch einen Monat.«
    »Nein, nein, nein!« Sie fing an zu schreien, hohe, spitze Töne, die Matthäus noch nie von ihr gehört hatte, rannte ein paar Schritte in das schneebedeckte Feld, stürzte und blieb reglos liegen.
    »Gehen Sie«, sagte Felix zu Matthäus. »Holen Sie sie. Ich passe auf den Wagen auf.«
    »Aber Mädchen«, flüsterte Matthäus Juliane ins Ohr. »Was würde Johannes dazu sagen, daß sich die tapfere, mutige Assenheimerin so gehenläßt?«
    Erschrocken hob sie den Kopf und starrte ihn an. Wußte er etwas, nein, unmöglich, sie blickte in gütige, liebende Augen, die sie anflehten aufzustehen und weiterzuleben.
    »Was ist schon ein Monat«, sagte er zu ihr, als er sie zum Wagen zurückführte. »Jetzt sind wir so weit gekommen, das schaffen wir auch noch.«
    Sie reihten sich wieder in den Zug ein und während sie auf die Stadt mit den vielen Türmen zustrebten, berichtete Felix, was dort in den vorangegangenen Tagen geschehen war.
    »Die französischen Garden sind schon am 10. November in Smolensk angekommen und erhielten ihre Rationen für ein paar Tage – Napoleons Getreue kriegen natürlich immer eine Sonderbehandlung«, setzte er hinzu. »Als am Abend die anderen Korps eintrafen, wollte man ihnen erst am nächsten Tag die Lebensmittel geben, aber die Leute waren genauso ausgehungert wie ihr jetzt und überfielen die Magazine …«
    »Gab es denn keine Wachen?« fragte Matthäus.
    »Natürlich, aber die hatten sie schnell überwältigt und dann stürzte alles in die Magazine. Der Herr Oberleutnant hat es beobachtet und es muß furchtbar gewesen sein, wie die Leute die Fässer eingeschlagen und dabei das meiste ausgegossen haben, was vielen geholfen hätte. Wie Mehl verstreut wurde …«
    »Bitte aufhören«, bat Juliane.
    »… und Getreide verschüttet wurde. Eine Menge Leute sind dabei getötet worden, erdrückt, erdolcht, erschossen … und viele haben sich zu Tode gesoffen, den Branntwein wie Wasser geschluckt.«
    Juliane war dankbar, als er endlich schwieg.
    »Was ist mit dem 3. Armeekorps?« fragte Matthäus besorgt.
    »Ney ist mit seinen Leuten zuletzt in die Stadt geritten, heute morgen erst, und dem Grafen von Scheeler ist es zu verdanken, daß die Männer etwas zu trinken und zu beißen gekriegt haben. Der Graf, Oberst von Röder und unser Herr Oberleutnant haben zusammen ein Magazin vor den wütenden Truppen verteidigt und dann den Soldaten das Essen ausgehändigt. Aber das Magazin ist jetzt natürlich auch leer.«
    »Und wovon sollen wir dann leben?« fragte Juliane stumpf.
    Auf Felix' Gesicht zeigte sich wieder das feine Lächeln, das Juliane schon in Moskau so irritiert hatte. Wer ist dieser Mann, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, wie ist er in Gerters Dienste gekommen? Daß Johannes ihn meist mehr als einen Kameraden denn als einen Diener behandelte, schrieb sie dem Naturell des Oberleutnants zu, der aus seiner Abneigung zu herrschen nie einen Hehl gemacht hatte. Aber vor allem in Moskau war ihr mehrfach aufgefallen, daß Felix selbst eine gewisse Neigung zum Befehlen mühsam zu unterdrücken schien. Vielleicht war er ein unehrenhaft entlassener Offizier? Sie sah ihn sich genauer an und verwarf diesen Gedanken. Mit seinem schwankenden Gang hätte er sich bei der Infanterie lächerlich gemacht und er ritt zu ungeschickt, als daß ihn die Kavallerie genommen hätte.
    »Sie sind eingeladen, bei dem Herrn Oberleutnant zu logieren und zu speisen. Darum bin ich Ihnen entgegengeritten.« Mehr wollte Felix nicht sagen, aber seine Worte waren Musik in Julianes Ohren. Johannes lebte und er logierte und speiste! Was konnte es

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