Die Marketenderin
begrüßt und wurden zugänglicher, als er seine neu erworbenen Russischkenntnisse an ihnen ausprobierte. Johannes erinnerte sich an ihre Weigerung, mit Matthäus Russisch zu sprechen. Er fühlte sich um so mehr von dem Dienerpaar geehrt und behandelte es ausnehmend höflich. Außerdem wußte er, daß Marja und Pjotr in Felix' Geheimnis eingeweiht waren und rechnete ihnen ihr Schweigen hoch an.
Katharina überließ ihm das Schlafzimmer, in dem er während der Besatzungszeit gewohnt hatte, aber da er die Nächte bei ihr verbrachte, diente es ihm nur als Arbeitszimmer.
Jeden Tag zog er sich für ein paar Stunden zurück, studierte Russisch, als hinge sein Leben davon ab, las die neu erschienenen Bücher, die Katharina ins Haus geschickt wurden und übertrug seine Tagebuchnotizen in ein sauberes großes Heft. Er schrieb keine Briefe nach Deutschland. Seine Mutter lebte nicht mehr, mit seinem Vater war er zerstritten und er brachte es nicht übers Herz, seiner Schwester vom Tode ihres Sohnes zu berichten.
Er lebte von Tag zu Tag und machte sich keine Gedanken über seine Zukunft. Wie zur Besatzungszeit gab es auch jetzt beinahe allabendlich Gesellschaften im Palast. Allerdings wurde nicht mit Hühnerknochen und Gläsern um sich geworfen, sondern mit Zitaten aus der Weltliteratur und Johannes genoß es, sich nach Monaten der Entbehrungen wieder unter kultivierten Menschen zu bewegen. Katharina war überglücklich, als Johannes ihr den im Geheimfach der Säule versteckten Samowar überreichte, und wenn andere russische Gäste über die Ausplünderung ihrer Häuser klagten, wies sie immer wieder darauf hin, daß es auch anständige Besatzer gegeben hätte.
Sie bezog Johannes in alle gesellschaftlichen Aktivitäten ein, bis auf eine – einmal die Woche ging sie allein in den Kreml, um dort eine hochgestellte Persönlichkeit zu besuchen. Dies erweckte Johannes' Neugier, aber es gelang ihm nicht, ihr den Namen dieser Person zu entlocken. Er dachte oft daran, daß wohl kaum jemals ein Mensch seine Gefangenschaft so genossen habe wie er jetzt in Moskau, aber es wäre ihm lieber gewesen, wenn er sich für sein jetziges Leben frei hätte entscheiden können.
Er brachte auch nur ein gequältes Lächeln zustande, wenn Katharina ihn in zärtlichen Stunden ›meinen schönen Gefangenen‹ nannte, denn er war sich seiner Abhängigkeit ständig bewußt. Er lebte zwar in einem goldenen Käfig, aber es blieb ein Käfig. Er ahnte nicht, daß Katharina von Zimmermann die Schlüssel dazu besaß.
Ihre Besuche im Kreml galten nämlich niemand anderem als dem Gouverneur von Moskau, dem vom Zaren höchstpersönlich der Auftrag gegeben war, der Generalswitwe jeden nur möglichen Wunsch zu erfüllen. Graf Rostoptschin, jener Mann, der befohlen hatte, Moskau in Brand zu stecken, war Katharina sehr gewogen. Er hätte Johannes auf ihren Wunsch sofort freigelassen, aber sie lehnte sein Angebot ab, aus Angst, Johannes zu verlieren. Sie sagte sich zwar, daß es weitaus schmeichelhafter für sie sei, wenn der Oberleutnant aus freien Stücken bei ihr bliebe, und er dies wahrscheinlich auch tun werde, aber sie wollte nichts riskieren. Sie würde erst dann den Käfig öffnen, wenn sie sicher sein konnte, daß er nicht entfliehen würde.
Sie schämte sich ihrer Schwäche, aber wenn sie dann merkte, wie seine Liebe zu ihr täglich zunahm, hielt sie ihre Entscheidung für richtig. Sobald er von Heirat sprach, würde sie ihn freilassen.
Für Johannes war Katharina eigentlich die Frau, von der er sein ganzes Leben lang geträumt hatte. Er liebte ihre Anmut und Würde, ihre Schönheit, ihren Geist und ihren Witz. Vor allem liebte er die Offenheit, mit der sie über jedes Thema diskutierte, die Freiheit, mit der sie ihre eigene Meinung verteidigte. Darin glich sie der Assenheimerin, nur paarte sich bei Katharina Freimut mit Bildung.
Dennoch dachte er oft daran, daß er Julianes Äußerungen viel spannender gefunden hatte, weil sie eben von keinem Studium untermauert und nur aus ihrem eigenen Nachdenken hervorgegangen waren. Was hätte aus dieser Frau werden können, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätte sich weiterzuentwickeln, dachte er dann. Die Antwort war einfach: Sie wäre genau wie Katharina geworden.
Diese Ansicht sah er bestätigt, als er Katharinas Mutter kennenlernte, eine einfache alte Russin vom Lande. Im Gegensatz zu den meisten Russen, die in den heißen Monaten das stickige Moskau verließen, um in die Sommerfrische zu fahren, kam sie
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