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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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können, aber er schwieg, denn er zweifelte daran, daß Reden zu diesem Zeitpunkt etwas Gutes bewirken würde. Außerdem war es wichtiger, daß er erst seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung brachte. Er war bereits ein gutes Stück vorangekommen und hoffte, in Kürze gänzlich rehabilitiert zu werden.
    Auch Gerter würde sich darüber freuen, denn daß er nicht nur wirklich unschuldig war, sondern auch noch versucht hatte ein Verbrechen zu verhindern, wußte Gerter nur von Felix selbst. Er hatte seinem Wort geglaubt. Damals, vor vielen Jahren, hatte der junge Deutsche auf der griechischen Insel Syros nämlich nur mitbekommen, wie sich ein einzelner Mann gegen mehrere Gegner, die ihm offensichtlich nach dem Leben trachteten, zur Wehr setzte. Gerter hatte gesehen, daß Felix einem von ihnen ein Messer in den Leib gerammt hatte und dann weggerannt war. »Schnell«, hatte ihm Gerter auf Französisch zugerufen und ihm von seinen Verfolgern unbemerkt die Tür zu seiner Bleibe geöffnet. Felix hatte ihm dann erzählt, worum es bei der Auseinandersetzung gegangen war und sich zum Dank für die Lebensrettung angeboten, Gerters Diener zu werden. Er hatte diesen Entschluß nie bereut, aber es tat ihm auch nicht leid, daß die Tage seiner Dienerschaft gezählt waren.
    Jakob wuchs schnell heran und als er vier Monate alt war, erinnerte längst nichts mehr an den kleinen Greisenkopf, den Juliane zuerst gesehen hatte. Sie zählte ihre Barschaft und rechnete aus, daß sie vielleicht in einem Jahr genügend Mittel haben würde, um in die Heimat zurückzukehren.
    Sie flehte Matka an, sich Informationen über die politische Lage zu verschaffen, da sie nur in ein friedliches Land zurückkehren wollte, aber Matka weigerte sich ihr zuzuhören. Sie will wohl, daß mein Kind so wird wie ihr Sohn und daß ich den Rest ihres Lebens bei ihr bleibe, dachte Juliane verbittert. Sie zermarterte sich den Kopf, aber ihr fielen nur Pjotr und Marja ein. Es war jetzt beinahe ein Jahr her, daß die beiden sie so brüsk weggejagt hatten, aber Juliane brachte es nicht über sich, zum Gartenhäuschen zu gehen und sie um Informationen über die politische Lage zu bitten.
    Eines Novemberabends, als sie mit ihrem Lumpenwägelchen auf dem Weg nach Hause war, bog sie mit Herzklopfen in die Straße nahe der Moskwa ein und blieb vor dem Palast stehen. Er war hell erleuchtet und selbst durch die geschlossenen Fenster drang Klavierspiel nach draußen. Zu gern hätte sie hineingeblickt, aber die Fenster waren zu hoch. Sie überquerte die Straße und drückte sich gegen eines der neu errichteten Holzhäuser, konnte aber nur einige undeutliche Figuren erkennen, die mit Gläsern in der Hand an den Fenstern standen.
    Es erschien ihr plötzlich sehr wichtig zu wissen, welche Menschen sich in jenem Haus aufhielten, in dem sie selber Offiziere bewirtet, ihren Vater erkannt und Johannes geküßt hatte. Sie erinnerte sich an die Leiter, die im Kutschhaus an der Wand lehnte und sah sich um. Die Straße war leer und dunkel und vor dem Palast standen keine Wachen. Sie eilte zum Kutschhaus, das sie unverschlossen vorfand, nahm die Leiter, lehnte sie gegen die Steinmauer des Palasts und kletterte vorsichtig hinauf.
    Ihr Blick schweifte über Menschen in eleganten Roben, die einer Klavierspielerin zuhörten. Eine wunderschöne Frau in einem elfenbeinfarbenen mit Brüsseler Spitzen verzierten Kleid saß in jenem vergoldeten Sessel, in dem Matthäus so komisch ausgesehen hatte. Julianes Augen weiteten sich, sie drückte sich fast die Nase an der Scheibe platt und ihr Blick glitt von der Hand, die zärtlich auf den Schultern dieser wunderschönen Frau lag, zum Gesicht des Mannes, der hinter der Frau stand. Die Leiter wackelte und Juliane stürzte auf den Kies.
    Sie merkte nicht, daß sie sich Knie und Ellenbogen aufgeschlagen hatte, als sie sich schwer atmend aufraffte. Kein Zweifel war möglich. Der Mann, der so liebevoll auf den wohlfrisierten Kopf der eleganten Erscheinung geblickt hatte, war Johannes Gerter. Er lebte! Er hatte überlebt und es ging ihm gut! Im nächsten Augenblick übermannte sie ohnmächtiger Zorn. Während sie seit über einem Jahr unvorstellbares Leid erlebt, ihren Mann verloren, ihr Kind in einem fremden Land zur Welt gebracht und als stumme Lumpensammlerin ihr Dasein gefristet hatte, ließ er sich, umgeben von allem erdenklichen Luxus, in einem Palast von einer feinen Dame verwöhnen!
    Keinen Gedanken würde er mehr an die einfache, dumme Assenheimerin

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