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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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war, für ein so kleines hilfloses Bündel verantwortlich zu sein und wie leicht, sich über die Errettung der Welt Gedanken zu machen! Einmal wachte sie nachts schweißgebadet auf. Sie hatte von der Frau mit dem Kind an der Brust geträumt, die sie von ihrem Wagen geschossen hatte. In ihrem Traum war das Kind Jakob gewesen und sie fing an leise zu weinen, als sie daran dachte, daß sie nach dem Vater auch noch den Sohn umgebracht hatte. Nie würde sie für ihre Sünden Vergebung finden und es peinigte sie die Angst, daß Gott ihr zur Strafe Jakob wegnehmen würde.
    Sie wußte nicht, was in der Welt geschah, ob der Krieg weiterging, ob Napoleon noch existierte oder ob ganz Deutschland inzwischen russisch geworden war. Matka sprach nie darüber und sie vermutete, daß die Alte auch keine Ahnung hatte, und sonst gab es niemanden, der ihr etwas erzählen konnte.
    Natürlich dachte sie an Rückkehr, hatte einen kleinen Spartopf angelegt, wo sie jeden Rubel hineinstopfte, den ihr Matka für die Arbeit gab. Sie war froh, daß sie sich nicht um die Weiterverwertung ihrer Lumpenbeute bemühen mußte, sondern daß Matka dies übernahm.
    Jeden Abend, wenn sie ihr Lumpenwägelchen auf dem kleinen Hinterhof auskippte, schickte Matka sie ins Haus, folgte ihr und sorgte dafür, daß sie sich vor ihren Augen auszog, bevor sie sich wusch. Juliane konnte es Matka nicht verdenken, daß sie ihr nicht vertraute, denn wenn sie eine Möglichkeit gefunden hätte, die aufgestöberten Wertsachen für sich zu behalten, hätte sie es auch getan.
    Während Matka in den ersten Monaten von Julianes Tätigkeit als Lumpensammlerin abends immer nur kurz verschwunden war, um die Aufkäufer zu holen, änderte sich das, als sie eine Woche nach der Geburt ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte. Manchmal dauerte es Stunden, ehe sie zurückkehrte und Juliane fragte sich, ob es schwieriger geworden war, den Trödel loszuwerden. Daß sich Matka überhaupt etwas verändert hatte, weniger mürrisch erschien, führte sie zunächst auf Jakob zurück, dem die Alte recht zugetan schien. Aber dann fiel ihr ein, daß Matka schon vor seiner Geburt, ungefähr seit April, öfter das Haus für längere Zeit verlassen hatte und wenn sie zurückkehrte, hatte sie zwar wie üblich geschwiegen, doch im knittrigen Mundwinkel war der Hauch eines Lächelns sichtbar gewesen. Man hätte meinen können, daß sie irgendwo einen heimlichen Liebhaber hatte – wenn dieser Gedanke nicht zu absurd gewesen wäre.
    Als Juliane wieder anfing in Müllhaufen zu wühlen, war sie dankbar, daß sich Matka tagsüber um ihr Kind kümmerte. Abends herrschte wieder Schweigen in der Stube, aber jetzt störte Juliane die Stille nicht. Sie hielt ihr Kind in den Armen, streichelte es, sang ihm Lieder vor und erzählte ihm von Matthäus.
    »Dein Vater war ein guter Mensch, mein Kind, der Gottes Gebote in Ehren hielt. Er kümmerte sich um die Menschen, die ihm anvertraut waren, aber er verstand oft nicht, warum ihm bestimmte Befehle erteilt wurden. Er war Soldat geworden, weil er etwas für sein Land tun wollte, es davor schützen, daß eine fremde Macht einfällt und sich die Menschen unterwirft. Es war nicht seine Schuld, mein Kind, daß er zu der fremden Macht gehörte, die in ein anderes Land eingefallen ist, denn er mußte zu seinem Eid stehen und tun, was ihm befohlen wurde, selbst wenn es hieß, einen anderen Menschen zu töten. Er durfte keinen eigenen Willen haben, aber du, mein Kind, du mußt einen haben. Vielleicht ist er auch Soldat geworden, weil er Angst hatte – obwohl er ein mutiger Mann war – Angst davor, selber zu entscheiden und Fehler zu machen. Beim Militär nahm er Befehle entgegen und gab sie weiter und wenn sie falsch waren, hatte er doch das richtige getan. Du mußt frei sein, Jakob, frei genug, um Fehler machen zu können, für die du einstehen mußt. Wenn du von ihm alles außer seiner Angst geerbt hast, dann wirst du mit diesen Gaben dich und die Welt glücklich machen.«
    Eigentlich fehlte Gerter nichts zu seinem Glück – außer seiner Freiheit und auch die war nur insoweit eingeschränkt, daß er Moskau ohne Erlaubnis nicht verlassen durfte. Er fand sein Los auch mehr als nur erträglich, vor allem, wenn er es mit dem der anderen württembergischen Soldaten verglich, die ins Innere Rußlands verschleppt worden waren und über deren Schicksal ihm russische Offiziere berichteten, die zu Katharina ins Haus kamen.
    Marja und Pjotr hatten ihn zwar erstaunt aber höflich

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