Die Marketenderin
Ende Juni, als zwischen den verfeindeten Mächten ein Waffenstillstand ausgerufen wurde, zu ihrer Tochter nach Moskau.
»Sie haßt die feine Gesellschaft und hat es mir nie vergeben, daß ich da hineingeheiratet habe und nach Moskau gezogen bin«, erzählte Katharina, nachdem sie Johannes mit ihrer Mutter bekannt gemacht hatte. Mütterchen Lisaweta machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung, saß bei den Abendgesellschaften in einem Sessel nahe dem Fenster und kommentierte lautstark ihre Beobachtungen. Johannes, der des Russischen inzwischen so weit mächtig war, daß er artig Konversation führen konnte, verstand kein Wort der Alten.
»Das liegt an ihrem Dialekt«, erklärte Katharina, »und es ist besser, daß du die Worte nicht kennst, die sie sagt.«
Neugierig geworden, bat er andere Gäste, sie ihm zu übersetzen, und als die meisten mit hochroten Köpfen meinten, man müsse der alten Frau die Sprüche nachsehen, begriff er, daß es sich um Schimpfwörter handeln mußte.
Er machte sich einen Spaß daraus, die Alte herauszufordern, ihre unverständlichen Flüche aufzuschreiben, sie auswendig zu lernen und in gespielter Unschuld im Schlafzimmer zum besten zu geben. Katharina fiel vor Lachen fast aus dem Bett und lehrte ihn noch ein paar starke Flüche, die er dann an ihrer Mutter ausprobierte, und was Höflichkeit nicht geschafft hatte, schaffte sein Lästermaul: Mütterchen Lisaweta schloß ihn ins Herz und fragte ihn eines Tages unverblümt und in klar verständlichem Russisch, wann er denn ihre Tochter zu heiraten gedenke.
Johannes schwieg betroffen, während Katharina meinte, ihr Herz stehe still. Natürlich hatte er immer wieder daran gedacht, Katharina zu heiraten und den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen. Eine bessere, passendere Frau würde er nie finden und er befand sich in einer Lebensphase, in der ihm nicht mehr an kurzfristigen Abenteuern gelegen war. Aber solange er sich in Gefangenschaft befand, wollte er diese Entscheidung nicht treffen.
»Mütterchen«, sagte er zu Lisaweta, »warum sollte deine Tochter einen armen Gefangenen heiraten, wenn alle Herzen der freien Welt ihr zufliegen?«
Er floh aus dem Zimmer, aber Katharina folgte ihm.
»Johannes«, fragte sie ernsthaft, »würdest du mich denn überhaupt heiraten wollen?« Als er nicht sofort antwortete, fragte sie leise: »Oder gibt es eine andere Frau? In Deutschland?« Er schüttelte den Kopf. In Deutschland ganz bestimmt nicht und die einzige andere Frau, die es hätte geben können, war verheiratet gewesen, nicht standesgemäß und lag nun in einem nassen Grab. Katharina wechselte schnell das Thema. Die Zeit ist doch noch nicht reif, dachte sie schweren Herzens, ich muß mich gedulden.
»Hast du gehört, daß die Vermittlungsversuche von Fürst Metternich in Prag an Napoleons Unnachgiebigkeit gescheitert sind?« fragte sie ihn. Er schüttelte abermals den Kopf und meinte, erleichtert, daß sie nicht weiter in ihn drang: »Dann wird sich Österreich wohl dem Bündnis von Rußland, Preußen und England anschließen.«
»Schon geschehen«, erwiderte sie, »und Blücher und Gneisenau haben bei der Schlacht an der Katzbach die Franzosen vertrieben. Es sieht nicht sonderlich rosig aus für deinen Napoleon.«
Er ging nicht auf ihre Spitze ein, wissend, daß er sie enttäuscht hatte. Katharina war zu klug, um das Gespräch wieder aufs Heiraten zu bringen und war froh, daß die politischen Ereignisse genug Gesprächsstoff lieferten, um von ihrer persönlichen Lage abzulenken. Napoleon hatte sich nach der Völkerschlacht bei Leipzig wieder hinter den Rhein zurückziehen müssen – 160.000 Franzosen hatten die 255.000 Alliierten nicht beeindrucken können und der Ruf nach Auflösung des Rheinbundes wurde immer lauter. Gelegentlich wiederholte Katharina ihre Aufforderung, Johannes möge doch in russische Dienste treten, als Deutscher hätte er glänzende Karriereaussichten.
Sie äußerte dies, als meinte sie es scherzhaft, doch insgeheim war es ihr durchaus ernst mit dem Vorschlag. Wenn ihre Reize es schon nicht vermochten, ihn zum Bleiben zu bewegen, so schaffte es vielleicht sein Ehrgeiz. War er frei und befördert, würde ihn nichts mehr davon abhalten, mit ihr die Ehe einzugehen.
Es gab noch jemanden, der Johannes gern mit Katharina verheiratet gesehen hätte, und das war Felix. Der kleine, breitschultrige Diener hatte dafür seine eigenen Gründe. Er wußte, daß er mit einem einzigen Wort Gerters ganzes Leben würde ändern
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