Die Marketenderin
Syros, die unter französischer Protektion steht und keine türkische Besatzungsbehörde hat, ist mir Felix im wahrsten Sinn des Wortes über den Weg gelaufen.«
Er schwieg. Es fiel ihm schwer, eine Geschichte, die er nie vergessen konnte, aber auch noch nie erzählt hatte, in Worte zu fassen.
»Und?« fragte Katharina ungeduldig.
»Felix war Offizier zur See …«
»Aha, daher der Gang.«
»… und gleichzeitig ein Geheimagent des Zaren …«
»Aha«, triumphierte sie, »hab ich's doch gewußt, er ist Russe! Sollte er versuchen den Patriotismus der Hellenen anzufeuern und sie gegen die Türken aufwiegeln, militärische Hilfe zusagen, den gemeinsamen Gott aller Orthodoxen anrufen …«
»Richtig«, unterbrach Gerter verblüfft. »Woher weißt du das alles?«
»Vergiß nicht, daß mein Mann im letzten Türkenkrieg gefallen ist.«
Katharina sprach so selten von ihrem verstorbenen Mann, daß sich Johannes etwas unbehaglich fühlte. Er fuhr schnell fort: »Felix sollte außerdem ausloten, was die Griechen taten, um sich vom türkischen Joch zu befreien, und finanzielle Unterstützung zusagen, wenn ich es richtig verstanden habe. Ein griechischer Frachter, der regelmäßig Weizen aus der Ukraine nach Syros brachte, wurde mit einer russischen Mannschaft versehen und fuhr mit diesem geheimen Auftrag regelmäßig hin und her.«
»Warum nicht nach Athen?«
»Zu gefährlich. 1799 hat Sultan Abdul Hamid Syros seiner Nichte Sakh Sultana geschenkt und danach interessierten sich die Türken nicht mehr für diese Insel. Sie war gewissermaßen ein sicherer Hafen. Aber das ist für meine Geschichte unwichtig. Wichtig ist, daß Felix, von Sendungsbewußtsein getrieben, erschüttert war, als er dahinter kam, daß seine Mannschaft sich nicht im geringsten um ihre eigentliche Aufgabe kümmerte, sondern die Fahrten nur dafür nutzte, um aus Kirchen und Privathäusern gestohlene Ikonen an reiche Griechen zu verkaufen, die dafür von weit her nach Syros kamen. Als er seine Leute zur Rede stellte, versuchten sie ihn umzubringen, er tötete dann vor meinen Augen den Steuermann des Schiffs und rannte davon. Aus reinem Instinkt, vielleicht, weil fünf Mann sich auf einen gestürzt hatten, hielt ich ihn für unschuldig und nahm ihn auf.«
»Was geschah weiter?« fragte Katharina gespannt.
»Ich konnte in Erfahrung bringen, daß er in Rußland wegen Ikonenschmuggels und Landesverrats angeklagt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Offensichtlich war man der Bande auf die Spur gekommen, diese hatte alles auf Felix geschoben, und da er verschwunden war, schien es glaubhaft.«
»Und dann ist er Jahre später mit dir nach Rußland gegangen?« Katharina war fassungslos.
»Wir haben lange darüber geredet. Er wollte unbedingt seine Mutter wieder sehen, ahnte, daß man ihr das schöne Haus, das er ihr gebaut hatte, genommen hatte und daß es ihr schlecht gehe, weil man hoffte, ihn dadurch zurückzulocken. Seine Mutter ist das Wichtigste in seinem Leben und die Frau muß Schreckliches durchgemacht haben.«
Katharina dachte eine Weile nach, fragte dann nach Felix' richtigem Namen und versprach sich umzuhören.
»Vielleicht hat er Angst gekriegt und ist deshalb verschwunden«, meinte sie, froh, daß Johannes' seltsames Betragen mit der eigenartigen Geschichte seines Dieners zusammenhing.
Felix befand sich in der seltsamen Lage, sich mit der Frau, die er als seine Gegnerin betrachtet hatte, jetzt bestens zu verstehen. Wenn er morgens in der Backstube aufwachte und seiner Mutter und der Assenheimerin beim Brotkneten zusah, fühlte er sich so wohl wie nie zuvor in seinem Leben. Er hatte einen Narren an dem kleinen Jakob gefressen und bestand darauf, daß er Matthäus wie aus dem Gesicht geschnitten war. Wenn Matka dann darauf hinwies, alle Säuglinge hätten Grübchen, schwor er, die des Korporals seien einmalig gewesen und Jakob habe sie geerbt. Solche Bemerkungen machten Juliane glücklich und sie freute sich, daß sie jetzt jemanden hatte, mit dem sie reden konnte, wann sie wollte. Seine Geschichte hatte sie nicht ganz verstanden und sie wollte mit ihm darüber noch ausführlicher reden, denn sie hatte das Gefühl, daß er Wichtiges zu ihrem Werk beizutragen hatte.
Er war Russe und hatte Griechen Patriotismus beibringen wollen – sie erinnerte sich noch gut, wann sie das Wort zum ersten Mal gehört hatte. Griechen waren nicht in Napoleons Großer Armee gewesen, so viel wußte sie, und Felix, wie er immer noch von ihr
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