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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Lumpenwägelchen verschwinden konnte. Sie zerrten die sich heftig sträubende Frau die Treppe zum Palast hinauf und während einer der Männer sie in der Eingangshalle festhielt, rannte der andere in den Salon.
    Juliane hörte Schritte näher kommen und eine Stimme, die sie in der Seele schmerzte. Johannes warf nur einen flüchtigen Blick auf die ziemlich zerlumpte Gestalt am Eingang und sagte dann in gleichmütigem Ton etwas auf Russisch. Als der andere Bedienstete sie hart am Arm packte, um sie wieder zur Tür hinauszubefördern, entfuhr ihr, die seit Monaten keinen Laut außerhalb Matkas Haus von sich gegeben hatte, ein heftiger Fluch.
    Johannes, der schon beinahe wieder im Salon war, wirbelte herum und schrie: »Halt!« Der Bedienstete ließ Juliane wieder los. Er sah sie wortlos an.
    Sie hob stolz das Kinn und sagte nichts.
    »Vielleicht wäre eine Suppe willkommen?« erklang Felix' Stimme neben Johannes. Er schien nicht überrascht zu sein, sie zu sehen.
    »Was ist los, mein Schatz?«
    Mit rauschendem Gewand trat Katharina in die Eingangshalle und musterte die reglose Frau am Eingang. Rennen, dachte Juliane, nur wegrennen, aber ihre Füße gehorchten nicht, schienen mit dem Marmorboden verwachsen. Die Blicke ihrer fast schwarzen Augen bohrten sich in blaugraue und konnten sich nicht lösen.
    »Eine alte Bekannte aus dem Feldzug, Madame«, erklärte Felix.
    Johannes war wie erstarrt. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und die Narbe über der rechten Braue leuchtete wie eine Mondsichel. Er öffnete den Mund, klappte ihn gleich wieder zu und sah für jeden, der nicht wußte, was diese Begegnung bedeutete, ausgesprochen lächerlich aus.
    »Kommen Sie, Sie haben eine Menge durchgemacht und sicher Erholung nötig.« Katharina ging auf Juliane zu, unterbrach damit den Blickkontakt, der das Paar gelähmt hatte und sah nur noch, daß die seltsame Frau wie der Blitz durch die offene Tür verschwand. Johannes schob Katharina zur Seite und lief hinterher. Er sah die wehenden Röcke um eine Ecke verschwinden, aber als er dort angekommen war, schien Juliane wie vom Erdboden verschluckt.
    Weg, dachte er, einfach weg, und dann: Sie lebt! Sie lebt! Sie lebt! Irgendwo in Moskau und er würde sie finden. Sie, Matthäus und das Kind. Das ist meine Familie, dachte er verblüfft, als er mit schweren Schritten zurück zum Palast stapfte, meine richtige Familie. Dann fiel ihm etwas ein.
    Er rannte zurück zur Ecke, wo sie verschwunden war und schrie aus vollen Lungen: »Juliane, komm zurück! Du hast viel, viel Geld geerbt!«
    Die Assenheimerin wäre nicht die Assenheimerin, dachte er, wenn sie darauf nicht reagieren würde. Verzeihung, Eugen, sagte er mit einem Blick zum Himmel, von dem erste Schneeflocken fielen, aber ich kenne deine Tochter. Er wartete eine Weile, aber außer einem Hofhund, der wütend zu kläffen begann, blieb es still in der Straße.
    »Ich habe deine Goldpuppe!« brüllte er noch einmal. Irgend jemand riß ein Fenster auf und fluchte. Aber Juliane blieb verschwunden.
    »Komm zurück, Johannes, du holst dir den Tod! Es schneit!« Katharina zog ihn am Arm und erschrak, als er lauthals zu lachen begann. Es war ein fremdes, beunruhigendes Lachen und Katharina verstand nicht, was es zu bedeuten hatte. Wie sollte sie auch wissen, daß der Gedanke, sich zwei Schritte vom erwärmten Palast entfernt von ein paar Schneeflocken den Tod zu holen, einen Mann, der im tiefsten Schnee geschlafen hatte, seltsam berührte?
    Augenblicklich hörte er auf zu lachen. Mußte Juliane im Freien übernachten? Ihr Aufzug schien darauf hinzudeuten. Er riß sich von Katharina los, wollte wieder auf die Suche gehen, sah aber im selben Moment ein, daß es sinnlos war, im Dunkeln Moskau abzusuchen. Felix mußte ihm helfen, Felix fand alles und jeden, wenn er es darauf angelegt hatte.
    »Wer war die Frau?« fragte Katharina, als sie die Stufen zum Palast wieder hinaufstiegen.
    »Die Marketenderin meines Regiments, die Frau von Korporal Schreiber«, erwiderte er müde und Katharina stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Einen Augenblick lang hatte sie befürchtet, daß es sich um eine Konkurrentin handeln könnte, so seltsam hatte Johannes reagiert. Aber das war natürlich ein dummer Gedanke, der Oberleutnant, der so viel Wert auf eine gepflegte Erscheinung legte, würde sich nie mit einer derartig schmuddeligen Person abgeben – auch wenn manche Männer, wie Katharina nur zu gut wußte, in Liebesdingen oft ein erstaunlich

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