Die Marketenderin
genannt werden wollte, erklärte ihr, daß eben diese Griechen von den Türken seit 300 Jahren so beherrscht würden wie die Franzosen Moskau hatten beherrschen wollen. »Der Zar wollte ihnen ihren Stolz wiedergeben«, sagte er nur. Auf die wirtschaftlichen und strategischen Aspekte ging er nicht ein, überzeugt, daß sie die sowieso nicht verstehen würde.
Aus Stolz werden Kriege geführt, dachte Juliane, aus Stolz verlieren Mütter ihre Söhne.
Felix lüftete jetzt auch das Geheimnis des Abends, an dem er mit ihrem Wagen verschwunden war. Er hatte sich russisch gekleidet und war in südöstliche Richtung gefahren, um dort von Bauern Getreide zu kaufen, das sie den feindlichen Truppen nie überlassen hätten. Die Bluse, die sie im Wagen gefunden hatte, trug er immer, wenn es nötig war, als Einheimischer zu erscheinen. Er berichtete, daß ihn bei der Rückfahrt nach Moskau sogar einige Kosaken bis kurz vor die Stadt begleitet hatten, um ihn vor Angriffen französischer Soldaten zu schützen.
Felix hatte sich alles so schön ausgemalt und jetzt war mit der Assenheimerin ein unerwartetes Problem aufgetaucht. Er ahnte, daß Gerter nach seinem Verschwinden der Generalin seine Geschichte erzählen und Katharina Informationen einholen und ihm zu seiner Rehabilitierung verhelfen würde. Er wußte schon seit langem, wen sie einmal wöchentlich im Kreml besuchte. Wenn sie ihm half, könnte seine Mutter wieder in ihr altes Haus zurückkehren und ihren Lebensabend in einer komfortablen Umgebung verbringen. Gerter würde Katharina heiraten, die ihn in Moskau und also in seiner Nähe halten würde. Er hatte sich schon oft vorgestellt, wie es sein würde, wenn er seinem jetzigen Herrn endlich als Gleicher gegenüberstehen würde, zu den Abendgesellschaften als Gast käme und sich zu einem Freund des Hauses entwickeln würde. Glasklar stand dieses Bild vor ihm und er verlangte vom Leben nichts weiter, als Johannes Gerter nie aus den Augen zu verlieren.
Aber es gab die Assenheimerin. Er mußte in jedem Fall verhindern, daß Gerter dahinterkam, wo sie steckte. Er konnte es beim besten Willen nicht verstehen, aber er wußte, daß der Oberleutnant die elegante, gebildete und edle Generalin sofort für die grobe und ungebildete Assenheimerin im Stich lassen würde, wenn er erfuhr, daß auch sie Witwe war. Er würde mit ihr in seine Heimat zurückkehren und Felix würde ihn nie wieder sehen.
Er teilte seiner Mutter und der Assenheimerin mit, daß er wieder in den Palast zurückgehen werde.
»Schwören Sie mir, dem Herrn Oberleutnant auf keinen Fall zu verraten, wo ich bin!« flehte Juliane ihn an. Noch nie hatte Felix so gern einen Schwur geleistet.
»Wie kommt es, daß du ihn liebst, aber nicht sehen willst?« stellte ihr die alte Matka zum ersten Mal eine persönliche Frage. Juliane schwieg. Sie konnte ihr nicht erzählen, warum sie Johannes Gerter nie wieder zu sehen hoffte. Dann hätte sie ihre Sünden offenlegen und erklären müssen, daß sie Gottes Rache fürchtete. Wenn ich meine Liebe opfere, strafe ich mich selbst und vielleicht wird Gott dann weiterhin seine schützende Hand über Jakob halten, dachte sie.
»Friedrich Laurentsen«, sagte Katharina auf Russisch, als sie in die Küche kam, wo Felix mit Marja und Pjotr Tee trank, »darf ich Sie bitten, in den Salon zu kommen.«
Der Urteilsspruch, dachte Felix, als er ihr mit noch schwankenderem Gang als sonst in den Salon folgte. Alles verloren oder alles gewonnen.
Katharina bot ihm einen Stuhl an und fuhr auf deutsch fort, damit Gerter, der am Fenster stand, auch alles richtig verstand. Bei ihren ersten Worten setzte Felix' Herzschlag einen Augenblick aus.
»Ich bedaure Ihnen sagen zu müssen …« Sie pausierte und musterte ihn aus ihren klugen olivfarbenen Augen, »… daß Sie viele Jahre unnötigerweise der Heimat ferngeblieben sind.« Sie reichte ihm ein Papier. »Sie sind bereits vor drei Jahren rehabilitiert worden. Ihre Mannschaft ist bei einem weiteren Ikonenschmuggel erwischt worden und einer der Männer hat ein volles Geständnis abgelegt. Die Moskauer Regierung hat vergeblich nach Ihnen und Ihrer Mutter gesucht. Ihr Name ist gereinigt und selbstverständlich erhalten Sie Ihre Güter zurück und dazu noch eine Entschädigung.«
Sie reichte ihm ein weiteres Papier, das Felix wie in Trance entgegennahm. »Graf Rostoptschin wünscht, daß Sie ihm so schnell wie möglich Ihre Aufwartung machen. Es gibt Herren, die einen neuen Auftrag mit Ihnen besprechen
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