Die Marketenderin
Verschwinden in den Moskauer Wochen …
»Matka«, fragte Juliane, »heißt Felix Friedrich?«
Der, über den sich Juliane solche Gedanken machte, schob gerade das Lumpenwägelchen in den Hof und schlich dann ans Fenster. Er sah die aufgeregte Gestalt der Assenheimerin im Zimmer auf und ab gehen und vernahm Wortfetzen, aus denen er schließen mußte, daß sie mehr wußte, als gut für ihn sein könnte. Sie war wirklich eine lästige Frauensperson und könnte im letzten Augenblick alles verderben. Er war entsetzt gewesen, als seine Mutter ihm nach seiner Rückkehr erzählt hatte, daß sie die junge Frau aufgenommen hatte, denn nun mußte er doppelt vorsichtig sein und konnte sich auch nachts nicht mehr ins Haus seiner Mutter schleichen – so wie er das während der Besatzung regelmäßig getan hatte. Ein paar Mal hatte er sich überlegt, die Assenheimerin einfach ins Vertrauen zu ziehen, ihr die ganze Geschichte zu erzählen und auf ihre Verschwiegenheit zu hoffen. Wen kannte sie schon in Moskau? Sie konnte nicht zu Regierungsstellen gehen und ihn anzeigen. Wahrscheinlich würde sie die Tragweite des Problems gar nicht erkennen können und die ganze Geschichte einfach nur hochromantisch finden. Frauen sollten an so etwas ja Gefallen finden, hatte er sagen hören. Er selbst kannte sich mit Frauen nicht so aus.
Das weibliche Geschlecht hatte ihn noch nie interessiert und in den Jahren mit Johannes hatte er fasziniert beobachtet, wie ein ansonsten blitzgescheiter Kerl zum albernen Gockel werden konnte, wenn irgendwo ein Rock raschelte. Felix liebte Johannes, und nicht nur, weil dieser ihm das Leben gerettet hatte. Johannes war so, wie er selber gern gewesen wäre, wenn ihn das Schicksal etwas mehr begünstigt hätte, schön, hoch gewachsen, vor Charme sprühend, bei aller Männlichkeit liebevoll und ein wenig naiv. In den Jahren, in denen er zum Kundschafter ausgebildet worden war, hatte Felix gelernt, auf kleine Zeichen zu achten und ihm war sehr bald aufgefallen, daß die Assenheimerin eine ungesunde Macht über Gerter ausübte, und die Tatsache, daß die verheiratete Frau schamlos dem Leutnant hinterherlief, bestätigte nur seine schlechte Meinung über Frauen als solche. Wobei seine Mutter auszunehmen war – diese Frau hatte Unmenschliches ertragen müssen. Weinend hatte er als kleiner Junge hinter der Schlafzimmertür des Doktors gelegen und die Schläge gehört, die auf den Rücken seiner Mutter herabprasselten. Er hatte es sehr bedauert, daß sie ihn am Abend des entscheidenden Streits nicht mit dem Schürhaken erschlagen hatte.
»Heißt Felix Friedrich?« hörte er und jetzt durfte er seine Mutter nicht mehr allein lassen. Er klopfte ans Fenster.
Katharina wußte sich keinen Rat mehr. Seit dem Vorfall mit dem zerschmetterten Fenster und der fremden Frau war Johannes wie ausgewechselt. Inzwischen waren drei Tage vergangen, in denen er nur das Nötigste mit ihr sprach, wie abwesend wirkte und, was das Schlimmste war, die Nächte in seinem Arbeitszimmer verbrachte. Sie wußte von Marja, daß er schon am frühen Morgen das Haus verließ und sie wartete am Samowar auf ihn, wenn er abends zurückkehrte. Das mußte nicht alles mit dem Ereignis jener Nacht zu tun haben, sondern konnte auch mit seinem Diener zusammenhängen, der seit diesem merkwürdigen Abend einfach verschwunden war. Sie wußte, daß Gerter an Felix hing und vermutete, daß er ihn suchte.
»Weißt du, daß er Russisch versteht?« fragte sie ihn eines Abends.
»Wer?«
»Dein verschwundener Felix.«
»Wie kommst du darauf?«
»Er ist knallrot geworden, als Mutter …«, sie flüsterte ihm etwas zu, »… das gesagt hat.«
»Das kann Zufall sein.«
»Nein, Mutter hat es auch gemerkt und sofort eine ganze Serie hinterhergeschickt. Dabei hat sie freundlich gelächelt. Felix hat unter stillem Protest den Raum verlassen.«
»Das ist kein Beweis dafür, daß er Russisch kann.«
Katharina sah ihn scharf an.
»Warum betonst du das so? Du deckst ihn, da ist irgendwas, Felix hat etwas Entsetzliches verbrochen, hier in Rußland.«
»Ja«, sagte Gerter, »und ich werde es dir erzählen.« Lieber Felix verraten als mich selbst, dachte er, und vielleicht kann sie ihm mit ihren Beziehungen helfen. Wenn ich nur wüßte, wo seine Mutter wohnt!
Er schenkte zwei Gläser Rotwein ein, forderte Katharina auf, sich bequem hinzusetzen und begann zu erzählen.
»Ich habe als junger Mann eine Reise nach Griechenland unternommen. Dort, auf der Kykladeninsel
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