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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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die statt von Saatfeldern von kargem Brachland bestimmt war. Die vorausmarschierenden Franzosen hatten der Bevölkerung den größten Teil der sowieso schon kärglichen Nahrung abgenommen, so daß mancher württembergische Soldat mit den hungrigen Kindern der Gastfamilie sein Fleisch und Brot teilte.
    »Wenn es mir so schlecht ginge wie diesen Leuten, dann würde ich meinen Wagen überfallen«, verteidigte sich Juliane gegenüber Matthäus, als er sie davon abhalten wollte, dauernd mit einer Pistole in der Rocktasche herumzulaufen. »Die Menschen lassen es sich einfach gefallen, daß Soldaten ihr Haus in Besitz nehmen und alle ihre Lebensmittel auffressen! Würde ich nicht mitmachen. Außerdem solltest du dich freuen, daß ich auf mich selber aufpassen kann.«
    Im selben Augenblick bereute sie ihre Heftigkeit. Matthäus bekam immer so ein gequältes Gesicht, wenn sie Stärke zeigte. Als ob er sich fragte, welche Rolle er denn in ihrem Leben zu spielen habe. Sie verdrängte den Gedanken, daß die Rolle, die er gerne hätte, leider schon besetzt sei und nahm Zuflucht zu Vorwürfen: Er hätte sich eben ein schutzbedürftiges Dämchen suchen sollen, aber nein, er hatte ja unbedingt sie heiraten wollen.
    »War das ein Fehler?« fragte er mit so traurigen Augen, daß sie nur kopfschüttelnd die Arme ausbreitete. Sie konnte Matthäus nicht böse sein, es war nicht seine Schuld, daß es ihr einfach nicht gelang, Gerter aus ihrem Herzen zu verbannen.
    Eines Nachts war sie voller Panik aufgewacht. Sie hatte von Gerter geträumt, der zu ihr geredet hatte, aber ohne Stimme. Wo ist seine Stimme, dachte sie verzweifelt und stellte entsetzt fest, daß sie sich an seine Stimme gar nicht erinnern konnte. Sie rief sich die Gespräche mit ihm ins Gedächtnis zurück, die Worte waren da, aber die Laute waren ihr entfallen, auch wenn sie Färbung und Tonfall noch schwach ahnte. Sie hörte Matthäus flach atmen und wußte, daß sie sich die Stimme des Korporals immer würde vergegenwärtigen können. Sie war tief und tragend, die Stimme eines Mannes, der gewohnt war, Kommandos zu geben.
    Gerters Stimme war in ihr verstummt, und das sollte sie hoffen lassen. Hoffen, daß diese dumme, verzweifelte Liebe langsam von ihr weichen und sie freigeben würde für die Liebe zu Matthäus. Doch der Platz, wo diese entstehen sollte, war jetzt, da ihr Gerters Stimme fehlte, von einer dumpfen Leere gefüllt. Liebe kommt mit der Ehe, hatte ihre Mutter gesagt und mit dunklen Andeutungen auf bestimmte Ereignisse zwischen Mann und Frau in der Nacht verwiesen. Gleichzeitig hatte sie ihre Tochter vor anderen Männern gewarnt, die diese der Ehe vorbehaltenen Ereignisse herausfordern würden, und denen sie keinesfalls nachgeben dürfte – es sei denn, ihr Leben stünde auf dem Spiel. Sie wisse ja, was sonst herauskäme … Juliane bedauerte jetzt, daß sie sich nie getraut hatte, ihre Mutter nach den eigenen Erfahrungen zu befragen.
    Hatte ihre Mutter den Offizier mit den sechs Zehen geliebt oder hatte er sich ihr aufgedrängt? Hatte es mehrere Ereignisse mit ihm gegeben oder nur eins? Daß Liebe zu dem Ereignis führen könnte, war ja beinahe vorstellbar, aber wie das Ereignis zur Liebe führen sollte, fand sie rätselhaft. Matthäus fühlte sie sich nicht in ereignisreichen Nächten am nächsten, sondern an den Abenden, wenn er sich nach einem langen Marschtag erschöpft zu ihr an den Tisch setzte und ihr berichtete, was ihn bewegte.
    Am 22. April hatte sie im Städtchen Lebus reichlich Wein, Bier und Branntwein eingekauft, denn sie wußte, daß die Soldaten nach der Musterung durch den französischen Marschall Ney das Zelt stürmen würden. Matthäus hatte in der Nacht davor vor lauter Aufregung kaum ein Auge zugetan. Juliane, die schlafen wollte, weil ihr ein anstrengender Tag bevorstand, kam er wie ein kleiner Junge vor, der erwartet, zum ersten Mal den König in der goldenen Kutsche an sich vorbeifahren zu sehen. Daß sie Matthäus trotzdem zuhörte, lag an seinen ersten beiden Worten.
    »Leutnant Gerter hat mir versichert, daß Marschall Ney ein Soldat aus echtem Schrot und Korn ist«, begann er und hatte Julianes volle Aufmerksamkeit. »Kein Politiker, kein Taktiker, sondern ein Mann aus dem Volk, der Sohn eines Böttchers. Er sollte Anwalt werden, brach aber seine Ausbildung ab und ging zu den Husaren und hat sich hochgedient.« Er sei ein Mann, der den Krieg liebte, fuhr Matthäus begeistert fort und merkte nicht, daß sich Juliane einen

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