Die Marketenderin
Kissenzipfel in den Mund steckte, um nicht laut aufzustöhnen.
Daß man vom Krieg lebte, das verstand sie, weil sie es selber tat und Matthäus auch, aber den Krieg zu lieben, hielt sie für die albernste Sache der Welt. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Johannes Gerter den Krieg liebte, aber vielleicht irrte sie sich da. Als Kind hatte sie auch nie begriffen, warum sich die Jungen in der Nachbarschaft gern verprügelten. Sie hatte damals auch schon mal zugeschlagen, aber nur, um sich zu wehren, gefallen hatte es ihr nicht. Wer den Krieg liebt, dachte sie, ist arm dran und sie bedauerte den Marschall, der offensichtlich kein schöneres Ziel für seine Liebe hatte finden können. Wahrscheinlich ist er sehr häßlich, vermutete sie, und weil ihn keine Frau lieben kann, hat er sich dem Krieg verschrieben.
»Der Marschall stürzt sich mit großem Mut in die Schlachten, um seinen Soldaten ein gutes Vorbild zu geben. Und dabei verfügt er über keinerlei persönlichen Ehrgeiz und hat sich – allerdings vergeblich – jeder Beförderung widersetzt. Kannst du dir das vorstellen?« fragte Matthäus.
Schön dumm, wollte Juliane sagen, antwortete statt dessen: »Wozu das dann alles, wenn er nicht mal die Ehre will?«
Sie überlegte sich, ob es nicht vernünftiger wäre, Matthäus zu einem nächtlichen Ereignis herauszufordern, als sich anzuhören, daß Marschall Ney im Oktober 1805 – zwei Monate vor Austerlitz – berühmt geworden war, als er im Kampf gegen die Koalition der Russen, Österreicher und Engländer in Elchingen den ersten Sieg davongetragen und dafür den Titel ›Herzog von Elchingen‹ erhalten hatte.
Aber Matthäus nahm ihre forschende Hand sanft in seine und fuhr fort: daß Ney die Preußen 1806 in Jena vernichtend geschlagen habe und daß er, »worauf wir stolz sein können!«, eigentlich ein Landsmann sei, er habe nämlich deutsche Eltern. »Aber mit ihm werden wir leider nicht ins Gespräch kommen«, bedauerte Matthäus, »schon eher mit anderen französischen Offizieren. Die alle kein Deutsch können. Wie gut, daß ich sie verstehen kann, wie gut, daß ich ihre Sprache gelernt habe! Korporal Koch hat da schon größere Probleme. Wie, wenn ihm der Franzose nun sagt: He, Korporal, sagen Sie Ihren Männern, daß sie sich dort aufstellen sollen. Dafür braucht er einen Dolmetscher. Und wenn der Dolmetscher ihn nicht richtig versteht? Und ihn und seine Truppe in die falsche Richtung schickt? Wer führt dann die Armee an? Der Dolmetscher? Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was da alles schiefgehen kann. Koch sagt, daß die Sprache egal ist, im Krieg sprechen die Waffen. Befehl ist Befehl. Aber wenn der Befehl nun auf Französisch gegeben wird? Was macht er dann? Dummes Zeug, er steht ja auch unter dem Kommando unseres Kronprinzen und unserer württembergischen Offiziere. Von denen leider auch viel zu wenige Französisch sprechen. Schlimme Sache, das, wenn sie mich dann um Hilfe bitten müssen. Mich, den einfachen Korporal. Der Ney ist doch nur hier, um unsere Köpfe zu zählen, sich zu vergewissern, daß wir hinter Napoleon stehen. Das tun wir. Auch wenn wir nicht wissen warum. Gestern mein Feind, heute mein Freund. Der Marschall aus Frankreich wartet sicher genauso ungeduldig wie wir, daß der Krieg endlich beginnt.«
Er hörte leises Schnarchen und fragte: »Mondfee, hörst du mir überhaupt zu?«
Georg Mössner hatte der Musterung mit großer Aufregung entgegengesehen und sich ausgemalt, wie ihm der Kronprinz ins Auge blicken und zu Marschall Ney so etwas sagen würde wie ›sehen Sie doch den Kerl – wie furchtlos und schneidig!‹ Mössner war froh, daß er sich zur Artillerie gemeldet hatte, so stand er vorn und konnte besser sehen als die weiter hinten aufgestellte Infanterie.
Er hatte sich seit jenen gar nicht so lang zurückliegenden Tagen in Öhringen sehr verändert. Er war kräftiger geworden und hatte sich das Haar kürzer schneiden lassen, was ihn älter erscheinen ließ, obwohl er sich inzwischen den Bart abrasiert hatte. Napoleon hatte schließlich auch ein glattes Gesicht. Eine steile Falte, die zwischen seinen schräg nach oben verlaufenden Augenbrauen erschienen war, nahm seinen Augen den fragenden Ausdruck. Vor seinem Rasierspiegel hatte er einen Blick geübt, mit dem er später die Feinde das Fürchten lehren wollte.
Inzwischen hatte er sich nicht nur an die Uniform gewöhnt, er fühlte sich in ihr sogar wohler als in der Bauerntracht. Die hatte nur seinen Körper
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