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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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März rückte das Armeekorps in Leipzig ein und Mössner sah seine Vermutung bestätigt: Die Stadt war voller Soldaten. Es wimmelte nur so von Uniformen und die Quartiermacher hatten große Mühe, für ihre Soldaten noch Unterkünfte zu finden.
    In manchen Häusern waren bis zu 30 Mann untergebracht. Die Bevölkerung fühlte sich sehr belästigt, hatte sich die napoleonischen Ideen offensichtlich noch nicht angeeignet und wehrte sich, indem sie die Preise für Kost und Logis hochschraubte. Den größten Umsatz aber machten die Schenken, wo sich erstmals auch Verbrüderungsszenen und Auseinandersetzungen mit Angehörigen anderer Regimenter abspielten.
    Der Quartiermeister hatte für Schreiber und vierzehn der ihm unterstellten Soldaten, darunter auch Mössner, im Haus eines weitgereisten Kaufmanns nahe der Nikolaikirche eine Bleibe gefunden.
    Obwohl er endlich wieder ein richtiges Dach über dem Kopf hatte, plagten Mössner in der ersten Nacht Alpträume, zu denen nicht zuletzt die Tierköpfe beitrugen, die mit Glasaugen von den Wänden herabstarrten, und die seltsam geformten Objekte aus dunklem Holz, die im Halbdunkel bedrohliche Formen annahmen. Dabei war ihm noch gesagt worden, daß er sich glücklich schätzen konnte, in der Bibliothek unterzukommen, die erheblich angenehmere Temperaturen aufwies als die Dachstuben, in denen die meisten anderen Soldaten lagerten.
    »Geht's deinem Fuß besser?« erkundigte sich Matthäus, als er in der Küche das Frühstück austeilte. Mössner hob die Achseln, er hatte es noch immer nicht gewagt, den Stiefel auszuziehen.
    »Der Arzt soll ihn sich mal ansehen«, entschied Matthäus, wußte aber selber nicht, wo er Dr. Roos, einen der Regimentsärzte, auftreiben sollte. Insgeheim ärgerte er sich über die Organisation des ganzen Unternehmens. Seit Wochen war die Marschroute bekannt gewesen und doch hatte man nichts ordentlich vorbereitet und jeder Verantwortliche tat so, als wäre der Notfall eingetreten, der zum Improvisieren zwang.
    Juliane war schon am frühen Morgen mit Clärle losgezogen, um bei den Bauern vor der Stadt Ware einzukaufen. Für die Armee sollte es überall Magazine geben, aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund versagte die Organisation und Matthäus hatte seiner Frau schon prophezeit, daß die Soldaten mehr als bisher auf die Marketender angewiesen sein würden. Daß man in Kriegszeiten mit Unwägsamkeiten rechnen mußte, war unumgänglich, aber es herrschte ja noch kein Krieg und es machte Matthäus zu schaffen, daß man offensichtlich davon ausging, jeder Truppenteil werde schon selbst für sich sorgen.
    Er gab den Soldaten den Tag frei, nicht ohne sie zu warnen, den Sold nicht zu vertrinken, keinen Streit mit Bürgern oder anderen Soldaten anzuzetteln und sich am Abend wieder bei ihm zu melden.
    Georg Mössner hatte sich inzwischen den Stiefel ausgezogen, und da er dann tatsächlich nicht mehr hineinpaßte und außerdem Schmerzen hatte, blieb er als einziger von den Soldaten im Haus zurück. Er hatte keine Lust, sich mit den Angestellten in der Küche zu unterhalten. Um der erdrückenden Atmosphäre der vollgestellten Bibliothek zu entkommen, öffnete er die Flügeltür zum nächsten Zimmer. Verblüfft blieb er auf der Schwelle stehen. Obwohl auch hier die Fenster geschlossen waren, schien ein frischer Windhauch durch den gänzlich mit weißem Stoff bespannten Raum zu wehen, in dessen Mitte, fast verloren, ein Flügel stand. Weiter sah Mössner nur eine Harfe, einen Hocker vor und einen Sessel neben dem Flügel. Hier könnten noch viele Kameraden schlafen, war Mössners erster Gedanke. Er humpelte zu dem Sessel, schob den Hocker heran und legte den Fuß mit dem verstauchten Knöchel darauf.
    Welch ein Frieden ihn in dem hohen, leeren Raum mit der schönen Stuckdecke umgab! Hier würde er bis zum Abmarsch bleiben können, einfach nur im Sessel sitzen, in den Garten blicken und an nichts denken.
    Ein Geräusch schreckte ihn aus seinem Traum, er blickte zur Tür, die sich langsam öffnete. Herein trat ein Mädchen, das ebensogut einem Traum hätte entspringen können. Mössner hatte noch nie etwas Schöneres gesehen. Das Mädchen trug ein hellblaues, weit geschnittenes Kleid. Hellbraune Locken umrahmten ein weißes, ebenmäßiges Gesicht. Die dunklen Augen blickten über ihn hinweg zum Fenster.
    »Ich dachte, die Soldaten sind alle weg«, sagte sie, als wäre er ein Möbelstück. Ihr Dialekt klang in Mössners Ohren so seltsam, daß er Schwierigkeiten

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