Die Marketenderin
Schon wie sie dem Oberleutnant den Schinken gereicht hatte! Und Gerter, der sonst immer mit ihr scherzte, hatte sie kaum angesehen. Matthäus zog es das Herz zusammen. Juliane war ihm eine gute Frau, aber sie hatte ihm nie gesagt, daß sie ihn liebte und er fühlte, daß sie ihm nie ganz gehören würde. Unglücklich dachte er: Johannes kann alle Frauen haben, wieso will er auch noch meine! Aber vielleicht irre ich mich, er will sie gar nicht und ihr bedeutet er auch nichts. Das wird es sein, Johannes würde mich nie so hintergehen und meine Assenheimerin auch nicht. Ich habe eben so große Angst sie zu verlieren, daß ich schon Gespenster sehe! Besser ist, ich rühre nicht daran, denke nicht mehr darüber nach.
Wenig später stand Johannes Gerter in der Küche. Juliane schloß ihre halb geöffneten Augen schnell wieder. Sie spürte, wie er sie aus dem Stuhl hob, einen Arm unter ihre Kniebeugen schob, mit dem anderen ihren Rücken stützte und mit ihr irgendwohin ging.
»Bitte, bis ans Ende der Welt«, murmelte sie. »Aber stoß mich nicht über den Rand.«
Johannes beugte seinen Kopf zu ihr herunter, bis seine Nase fast ihre Lippen erreicht hatte. Sie fühlte seinen Atem auf ihrem Gesicht und das erinnerte sie an etwas. Sie lächelte selig. »Juliane«, sagte er so leise, daß Matthäus, der ihm mit der Lampe voranging, es nicht hören konnte, »Juliane, ich habe dir was zu sagen.«
»Ja?« Sie wagte es, wieder die Augen zu öffnen. Er war wirklich da, er hielt sie in seinen Armen, sie hatte den sicheren Hafen erreicht.
»Erstens«, sagte er, »kann ich mir denken, was für eine Krankheit du hast. Zweitens wird es dadurch nicht besser. Und drittens macht es dich nicht schöner.«
Meine Seele stürzt ab, konnte sie gerade noch denken, kniff Augen und Lippen fest zusammen und sah so komisch aus, daß er sie in diesem Moment wirklich gern geküßt hätte.
Flucht
Aus dem Tagebuch von Johannes Gerter:
Oktober 1812
So wurde nun die Lage des Heeres in Moskau mit jedem Tag bedenklicher und mißlicher. Alle Lebensmittel weit um das Heer waren aufgezehrt und in jedem Dickicht lauerten Cosaken oder nach Rache dürstende Bauern. Während so die Kraft des französischen Heeres sich immer mehr an der Natur des Nordens und den Eigentümlichkeiten seiner Bewohner brach, entwickelte sich der Enthusiasmus für die Vertheidigung und Rettung des Vaterlandes in der Brust der Russen jeden Standes bis zur höchsten Steigerung. In allen Provinzen wurde das Volk durch Aufrufe zur Ergreifung der Waffen aufgefordert und Männer und Jünglinge drängten sich zu dem heiligen Streit und strömten in Scharen der Armee zu, deren Zahl in den ersten Wochen sich auf das Dreifache auf solche Weise vermehrte. Sie waren bereit Verhältnisse und Bequemlichkeit des bürgerlichen Lebens für die Rettung des Vaterlandes zu opfern. Die Geistlichkeit gab auch hier – gleich der in Spanien – den größten Impuls und blies diesen furchtbaren Haß des Volkes gegen Alles, was Französisch hieß, zu immer heißerer Glut an.
Da das Kreml-Theater beim großen Brand zerstört worden war, fanden die Aufführungen in einem weitläufigen Privathaus statt. Georg Mössner wünschte, daß seine Mutter ihn jetzt sehen könnte. Endlich bewegte sich ihr Sohn in jenen Kreisen, denen sie seit so vielen Jahren nachtrauerte. Er nickte seinem Ebenbild in einem der goldgerahmten Spiegel in der Eingangshalle anerkennend zu. Könnte er doch nur in dieser neuen gut zugeschnittenen Uniform und mit dem gestutzten Vollbart den ›Wilden Eber‹ betreten! Der Wirt würde sich tief vor ihm verbeugen und es nicht wagen, zu fragen, ob er denn die Zeche bezahlen könne. Aber da würde er sowieso nie wieder Schulden machen, denn er hatte in den vergangenen Wochen genügend Wertsachen angehäuft, um für den Rest seines Lebens finanziell unabhängig zu sein.
Ihm und einigen Kameraden war die ehrenvolle Aufgabe zugewiesen worden, das Theater während der Vorstellung zu überwachen. Noch nie hatte Mössner so viele schöne Menschen mit so kostbarer Garderobe gesehen wie an jenem Abend. Er berauschte sich an dem Bild und machte sich im Kopf Notizen, wie sich der Mann von Welt zu kleiden und wie die ihn begleitende Dame auszusehen habe.
Nachdem ein schlichter Goldreif den Besitzer gewechselt hatte, ließ ein höhergestellter Wachsoldat Mössner durch die offene Tür auch einen Blick auf die Bühne im Ballsaal werfen. Nichts, was er im Foyer gesehen hatte, war mit dem Anblick zu
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