Die Marketenderin
und rieb den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger.
Clärles Augen weiteten sich. »Ist der für mich?« strahlte sie und Mimi Manon sagte etwas zu ihr.
»Du sollst ihn mir anstecken«, übersetzte Clärle und als Georg halb in Trance dieser Aufforderung nachkam, küßte sie ihn auf den Mund.
»Er paßt sogar. Setz dich schnell da hinten hin, ich muß jetzt Madame helfen.«
Auf Georg wartete ein weiterer Schock. Ohne Scheu vor dem männlichen Gast in der Garderobe, ließ sich die Schauspielerin von Clärle die Perücke abnehmen und zu Georgs Entsetzen kamen zerdrückte, dünne, hellbraune mit Grau durchmischte Strähnen unter der weißblonden Mähne zum Vorschein. Im Garderobenspiegel erkannte er, daß der Busen, der ihm von weitem so perfekt erschienen war, aus der Nähe betrachtet den Vergleich mit Clärles nicht standhielt. Sie ist alt, schoß es Georg durch den Kopf und augenblicklich erstarb jede Begeisterung.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Clärle zu, die mit anmutigen Bewegungen La Manon Puder übers Dekolleté stäubte, über einen Pickel am Kinn ein schwarzes Pünktchen klebte und ihr Rouge für Lippen und Wangen reichte.
»Deine Sommersprossen!« Es war Georg wieder eingefallen.
Clärle blickte ihn im Spiegel an und lächelte. »Verschwunden!«
Georg murmelte etwas.
»Unter einer Wundercreme«, setzte sie schnell hinzu, als ihr einfiel, daß Georg einst eine unverständliche Schwäche für die störenden Pünktchen gezeigt hatte.
Aber Georg war sehr froh, in Clärles Gesicht keine Sommersprossen mehr zu entdecken.
Als Georg eine Stunde später an dem von Clärle beschriebenen Tor vor dem Kreml auf das Mädchen wartete, schenkte er Mimi Manon keinen Gedanken mehr. Er dachte nur daran, wie schön es war, jetzt in Moskau ein Mädchen zu haben, das er nicht vergewaltigen, ja nicht einmal verführen mußte, sondern das begeistert auf seine Wünsche eingehen würde. Wünsche, die er sogar in seiner Muttersprache äußern konnte.
Er überlegte, wo er mit ihr hingehen sollte, ließ ein paar zerstörte Häuser, an denen er vorbeigegangen war, Revue passieren, verwarf dann die Idee das Schäferstündchen zwischen Trümmern abzuhalten und ärgerte sich, daß er nicht mehr erbeutete Eheringe eingesteckt hatte. Aber vielleicht hatte ja Clärle Geld, mit dem sie ein Zimmer für die Nacht mieten oder eine Kutsche bezahlen könnte, die sie zu seinem Steinhaus in die Vorstadt bringen konnte. Mit Kreide hatte Georg an die Front des Hauses ›4. Regiment Franquemont GM‹ geschrieben, darauf vertrauend, daß kein Offizier des Regiments daran vorbeikommen und erkennen würde, daß die Buchstaben Unsinn waren. Aber einfache Soldaten, die auf Schatzsuche waren, würde die Schrift abschrecken.
Georg betrachtete das Haus immer noch als seine rechtmäßige Beute und sooft es seine Pflichten erlaubten, suchte er es auf, um sich an seinem Besitz zu erfreuen. Er hatte den Gedanken, für immer in Moskau zu bleiben, noch nicht ganz aufgegeben und als er Clärle aus dem Tor kommen sah, baute er sie sogleich in seinen Traum ein. Sie würden gemeinsam das schöne Haus führen, sich in den feinen Kreisen Moskaus bewegen – Clärle mußte ihm unbedingt Französisch beibringen – und in Muße ihre Tage inmitten des angehäuften Reichtums verbringen.
Natürlich würde er seine Mutter nachkommen lassen, sobald die Straßen wieder sicher waren und Franziska würde endlich Grund haben, auf ihren Sohn stolz zu sein.
»Ich besitze jetzt ein Schlößchen«, sagte er zu Clärle, nachdem er sie mit einem Kuß begrüßt hatte, der in Clärle jeden Zweifel zerstreute, daß sich Georgs Einstellung ihr gegenüber geändert hätte. Er war nervös in der Garderobe, sagte sie sich, einfach davon überwältigt, wie schön ich geworden bin.
»Wir könnten da gleich hinfahren«, schlug er vor, »falls du Geld bei dir hast. Ich habe vergessen, Kleingeld einzustecken.«
Clärle hatte eine bessere Idee. Erst verzog er das Gesicht, als sie ihm vorschlug zu dem Palast zu gehen, wo die Assenheimerin und der Korporal wohnten, aber als sie dann erwähnte, daß sein Onkel dort ebenfalls untergebracht war, hielt ihn nichts mehr.
Prüfend musterte er Clärle und fand, daß sie selbst vor den kritischen Augen eines Sprosses der Familie Gerter Gnade finden müßte. Er instruierte sie, in Gegenwart seines Onkels möglichst wenig zu reden, denn solange Clärle nicht den Mund aufmachte, konnte sie seiner Meinung nach als richtige Dame
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