Die Marketenderin
vergleichen, der sich ihm darbot. Ihm stockte der Atem.
Auf der Bühne stand ein weißblonder Engel in Frauengestalt. Die märchenhafte Schönheit blickte hinauf zum Himmel, von dem sie gefallen sein mußte. Ihre Stimme, selbst im Flüsterton tragend und von einem sanften Vibrato unterlegt, traf Mössner mitten ins Herz, obwohl er die Worte nicht verstand, die sie sprach. Flehentlich fragend blickte er den französischen Wachsoldaten an.
»Mimi Manon«, flüsterte der verständnisvoll nickend, deutete dann auf eine Loge und hauchte voller Ehrfurcht: »L'Empereur!«
Aber der interessierte Mössner jetzt nicht. Für ihn gab es nur noch ein Ziel – wie konnte er an diese überirdisch schöne Frau herankommen?
»Ein Angebinde in die Garderobe schicken«, meinte einer seiner Kameraden, mit dem er sich kurz darauf beriet. Er blickte auf den Smaragdring, den er sich an den linken kleinen Finger gesteckt hatte. Für nur einen Blick von der Göttin würde er sich von dieser Kostbarkeit trennen.
Von einem Deutsch sprechenden französischen Soldaten erfuhr er, daß Manon im vorletzten Akt sterben und erst nach dem letzten Vorhang wieder auf die Bühne treten würde. Er hatte noch drei einfache Goldreifen in der Tasche, die ihm bei der Suche nach der Garderobe von Nutzen waren.
Schüchtern klopfte er an, aber da er niemanden im Zimmer erwartete, drückte er die Klinke herunter. Er hatte sich genau ausgemalt, wie ihn Mimi Manon in der Garderobe antreffen würde. Auf den Knien mit gesenktem Haupte, wollte er ihr auf der geöffneten Handfläche den Smaragdring darbieten.
»Georg! Du hast mich gefunden! Du hast mich gefunden!«
Es war der größte Schreck seines Lebens, größer als der, den ihm die Soldaten auf dem häuslichen Hof bereitet hatten, selbst größer als der im Öhringer Heuschober.
Arme schlangen sich um seinen Hals, schienen ihn zu ersticken. Der Duft eines schweren Parfums stieg ihm in die Nase.
Er wischte sich die Augen und sah Clärle mit glasigem Blick an. Er wollte nur noch fliehen.
»Hübsch siehst du aus«, sagte er hilflos, weil ihm nichts anderes einfiel und dann erst sah er sie sich genauer an.
Nichts erinnerte mehr an das niedliche, aber doch recht schlicht aussehende Bauernmädchen, das er vor Ewigkeiten an einem Brunnen gesehen hatte. Vor ihm stand eine selbstbewußte, erlesen gekleidete und gut frisierte junge Frau. Trotzdem fehlte irgend etwas. Er konnte nicht sofort darauf kommen.
»Du bist zum Theater gegangen?« fragte er.
»In gewisser Weise«, erwiderte sie stolz und er registrierte, daß sich sogar ihre Sprache verändert hatte. »Ich bin …«, sie zögerte, »… Gesellschafterin von Madame Manon.«
Clärle sah beglückt, daß diese Worte ihren Eindruck nicht verfehlten. Georg kannte Mimi Manon! Sie hatte immer gewußt, daß er etwas Besseres war – zumindest etwas erheblich Besseres als die Assenheimerin. Dennoch aber war sie etwas enttäuscht. Wenn er sich so viel Mühe gegeben hatte ihren Aufenthaltsort herausfinden, warum nahm er sie nicht in die Arme, küßte sie und gestand ihr mit strahlenden Augen, wie sehr er sie liebte? Sie trat einen Schritt auf ihn zu und breitete die Arme aus.
»Mein Liebster, du hast mir so gefehlt«, hauchte sie und ließ sich einfach gegen ihn fallen. Automatisch schlossen sich seine Arme um sie und so fand Mimi Manon die beiden, als sie in die Garderobe rauschte.
»Madame!« jubelte Clärle und Georg traute seinen Ohren nicht, als das Mädchen aus Öhringen mit ihrer Herrin französisch sprach, wenn auch mit deutlichem Akzent.
La Manon bedachte Georg mit einem gnädigen Blick, der ihm die Knie weich werden ließ.
Er besann sich wieder, weshalb er in die Garderobe gekommen war, zog den Smaragdring vom Finger, wußte aber nicht, wie er ihn überreichen sollte. Clärle hatte ihm den geplanten Auftritt verdorben. Die Schauspielerin, die direkt vor ihm stand, schien ihm jetzt viel weiter entfernt als auf der Bühne. Clärle betrachtete ihn mit einem verzückten Blick. Wie stattlich er aussah, wie breit seine Schultern, wie verwegen sein Bart!
»Was hast du ihr gesagt?« erkundigte sich Georg.
»Daß ich so glücklich bin, weil mich mein Verlobter endlich gefunden hat.«
Irgend etwas in Georgs Augen ließ sie noch schnell hinzufügen: »Ich habe Verlobter gesagt, weil du sonst vielleicht Schwierigkeiten bekommst, weil du hier eingedrungen bist. Außerdem muß ich ja auf meinen Ruf achten.«
Das ist ja ganz was Neues, dachte Georg grimmig
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