Die Markgräfin
und konnte sich doch nicht vom Fleck rühren. Sie sprach weiter, mehr zu sich selbst als zu ihm.
»Wer kann schon für seine Gefühle? Ist Gott so streng, so unerbittlich, dass er uns für das straft, was sein Werk ist? Er hat uns Menschen fähig zur Liebe geschaffen, und er hat auch zugelassen, dass es Georgs und Albrechts Art von Liebe gibt. All das ist ein Teil der Schöpfung.«
»Aber die Kirche lehnt solche Art von Geschlechtlichkeit
als abnorm ab. Schließlich dient sie, anders als die Liebe zwischen Mann und Frau, nicht der Zeugung, sondern nur der niedersten Lust.« Er widersprach halbherzig.
»Kaplan, ich habe Euch einmal von der Liebe predigen hören. Da klangt Ihr nicht so erbarmungslos. Aber vielleicht ist Euch als Mann Gottes die Liebe zwischen den Menschen doch fremd?«
Sie stand fast provozierend vor ihm, mit ihren dunklen Haaren bis zur Hüfte und diesen Augen, die ihm die Ruhe raubten. Sie war die Versuchung selbst. Wusste sie, wie es um ihn stand? Tiefenthaler schluckte trocken. In ihm kämpfte der Verstand einen aussichtslosen Kampf gegen die Gefühle, die er für diese Frau empfand. Da stand sie, nur einen Wimpernschlag entfernt, und plötzlich fiel alle Selbstbeherrschung, die er seit Monaten nur mühsam bewahrte, von ihm ab. Barbara sah den Ausdruck in seinem Gesicht und erkannte schlagartig, was sie angerichtet hatte. Bevor sie es verhindern konnte, war er schon bei ihr. Er vergrub seine Finger in ihrem Haar, küsste ihre Stirn, ihre Schläfen, die Augen. Sie spürte, wie sich seine Lippen auf ihre pressten, seine Zunge in ihren Mund drängte. Einen winzigen köstlichen Augenblick lang war sie versucht, sich gehen zu lassen, dann straffte sich ihr Körper. Es durfte nicht geschehen! Sie stemmte die Fäuste gegen seine Brust und machte sich frei. Schwer atmend standen sie sich
gegenüber. Sie sah seinen Blick, verzweifelt, voll Liebe, und schlug ihn ins Gesicht.
Seine Hand fuhr zum Mundwinkel, wo sie ihn getroffen hatte. Ein kleiner Blutstropfen wurde sichtbar. Dann drehte er sich um und rannte aus dem Zimmer wie von Furien gejagt. Barbara lehnte sich gegen die Wand und presste die Stirn an die Mauer.
Er erschien nicht zum Nachtessen in der Hofstube. Die Markgräfin brachte keinen Bissen hinunter, ihr Hals war wie zugeschnürt. Sie trank zwei Becher Casteller Wein und entschuldigte sich früh.
Im Frauenzimmer stand ein Kohlebecken, das wohlige Wärme abstrahlte. Barbara zog den Sessel mit dem Klöppelkissen neben die Glut und ließ wie unter Zwang die gedrechselten Holzklöppel tanzen, bis es dunkel wurde. In ihr war alles in Aufruhr. Immer noch spürte sie seine Hände, seine Lippen. Sie haderte mit sich, schalt sich ein dummes kleines Ding. Sie war weiß Gott ohnehin schon zu alt für die Ehe, für die Liebe. Und doch, sie litt um diesen Tiefenthaler, ihre Gedanken kreisten um den Kuss und die Ohrfeige, und sie hatte Angst, den Mann zu verlieren. Susanna und Kätha kamen und halfen ihr, sich für die Nacht fertig zu machen. Die beiden warfen sich fragende Blicke zu, während sich Barbara wortlos und abwesend alles gefallen ließ. Ausziehen, Haarebürsten, Hinlegen. Sie fand keinen Schlaf. Ein Holzwurm
tickte, und sie beobachtete, wie sich eine kleine Spinne im Mondlicht vom Rand ihres Baldachins abseilte. Nach einer Stunde stand sie geräuschlos auf, um die Mädchen nicht zu wecken. Sie warf sich den wollenen Nachtmantel um und setzte sich im Nebenraum ans Fenster. Es war eine milde Frühlingsnacht; ein blasser Mond stand als dünne Sichel am Himmel. Irgendwo schrie ein Käuzchen.
Ein Licht wanderte auf Barbara zu. Es war Susanna, die mit einer Kerze in der Hand aus dem Schlafraum kam.
»Könnt Ihr nicht schlafen, Herrin? Was ist mit Euch? Den ganzen Abend wart Ihr seltsam.«
Barbara wandte den Kopf. »Riechst du das, Susanna? Es riecht nach Frühling, unten im Zwinger blühen schon die Schneeglöckchen.« Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ach Susanna, ich hab ihn geschlagen!«
Die Zofe stand einen Moment lang stumm da. Sie war ein praktisch veranlagter, unromantischer Mensch. Von Kindheit an hatte sie ihren jetzigen Verlobten gekannt – was sie mit ihm verband, waren Freundschaft und Vertrauen. An Liebe hatte sie nie viele Gedanken verschwendet, und jetzt sah sie nicht ein, warum man so darunter leiden sollte. Und wenn doch, dann musste man so schnell wie möglich etwas dagegen tun. Sie mochte den Pfarrer gern, und die Markgräfin hatte wahrlich ein bisschen Glück
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