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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Von dort aus hörte sie die Predigt.
    Der Morgengottesdienst war Barbaras einziger Kontakt zur Außenwelt. Sie konnte zwar mit niemandem sprechen, aber in dieser Stunde wenigstens fühlte sie sich als Teil der Burggemeinschaft. Sie kannte bald die Gesichter aller Hofdiener, wusste eher als der Vogt, wenn einer krank aussah oder fehlte. Eine Zeit lang hatte sie sich ein Spiel daraus gemacht, an den Gesichtern oder der Kleidung zu erraten, welche Funktion der- oder diejenige bei Hof hatte, ob Stallknecht oder Kellerjunge, ob Wäscherin oder Küchenmagd. Sie erkannte die Torwarte und die Bankriesen an ihren Lederwämsen, den Schmied an seiner Schürze und den Türmer an seinem Schafspelz, der im Winter Schutz vor dem Wind bot. Vornehmster Kirchgänger war der gebirgische Hauptmann, inzwischen der neu ernannte Wolf von Schaumberg, der immer in Begleitung seiner Frau und der beiden Kinder erschien. Neben ihnen saßen Barbaras Hofmeister Guttenberg und dessen sauertöpfische Frau, dann der Vogt Melchior von Arnstein, zu erkennen an dem riesigen Schlüsselbund, der an seinem Gürtel hing. Er war ein
grobschlächtiger Mann mit langen, fettigen Haaren und weit abstehenden Ohren. Sein linkes Augenlid und der linke Mundwinkel hingen kraftlos herab – ein Zeichen dafür, dass ihn Gott schon einmal mit dem Schlagfluss gestraft hatte. Mit forschendem Blick überflog er die Schar der Kirchgänger, ob nicht einer fehlte, dem dann Lohn und Kost für diesen Tag gestrichen wurden.
    Den Gottesdienst hielt der alte Burgkaplan Körber, der dem Hauptmann auch als Schreiber diente. Er war ein wortgewaltiger Prediger, der seine Ansprache mit weit ausladenden Gesten seiner knochigen Arme unterstrich. Sein Haar war schlohweiß und hing ihm lang und glatt bis auf die Schultern. Die Predigten, die er hielt, bestanden meist aus sich wiederholenden Androhungen von Hölle und Fegefeuer. Körber beschwor jedes Mal ein drastisches Sammelsurium der schlimmsten Strafen für die alltäglichen Sündenfälle der Menschen herauf, um sie nur ja auf dem rechten Weg zu halten. Wie ein unheimlicher schwarz gekleideter Racheengel stand er dann vor dem Altar und spuckte Gift und Galle auf das geduckte Häufchen seiner Zuhörer. Angst hielt er für das beste Mittel, um seine Schäfchen vor Fehltritten zu bewahren. Das Burggesinde fürchtete seinen Zorn und hielt sich außerhalb der Gottesdienste von ihm fern. Nicht einmal der Hauptmann konnte mit ihm fertig werden, wenn ihn die heilige Wut packte.
    Am Anfang hatte Barbara unter den ständigen Tiraden des Kaplans gelitten, hatte sie in der Schlosskirche doch eher Hoffnung und Frieden gesucht. Doch schließlich gewöhnte sie sich daran, die Predigt zu überhören und ihre eigene ganz persönliche Zwiesprache mit Gott zu halten. Besonders angetan hatte es ihr eine aus Lindenholz geschnitzte Muttergottes, die schräg unterhalb der Empore an der Wand hing. Die Figur hatte das Gesicht leicht nach oben gerichtet und sah mit eigenartig wissenden Augen zu Barbara hinauf, die Lippen zu einem winzigen, kaum wahrnehmbaren Lächeln verzogen. An ihren schlimmsten Tagen fand Barbara in diesem Lächeln Trost und Zuspruch.
     
    War der Frühgottesdienst vorüber, wurde Barbara von ihrem Wächter wieder in die Vogtei gebracht. Dann begann ihr täglicher Kampf mit der Zeit. Während die Bediensteten der Burg ihrem Tagwerk nachgingen, saß sie am Fenster und beschäftigte sich mit Handarbeiten. Zwar hatte sie nie gerne gestickt und genäht, doch jetzt griff sie nach Nadel und Faden, weil sie sonst nichts hatte, um mit der Langeweile fertig zu werden. Irgendwann hatte ihr dann die Hofmeisterin ein flandrisches Klöppelkissen gebracht. Klöppeln hatte Barbara schon als Kind in Glogau gelernt, die Technik des Spitzenmachens war damals gerade in Mode gekommen. Das Verschlingen, Zwirnen und
Flechten der Fäden an den Holzspulen hatte ihr früher leidlich Spaß gemacht – nun, auf der Plassenburg, wurde es zu ihrem einzigen Zeitvertreib. Immer schneller ließ sie die Klöppel von einer Hand zur anderen tanzen, steckte Nädelchen in das pralle Kissen, erfand neue Muster und Motive. Bald sprangen die kleinen hölzernen Spulen hin und her, ohne dass Barbara noch hinsehen musste, mechanisch bewegte sie die Finger und hing dabei ihren Gedanken nach, den Blick meist in die Ferne gerichtet. Unter ihren geschickten Händen entstanden Spitzendeckchen, Borten und Brusteinsätze für Mieder, Zierposamenten, Haarnetze und Häubchen. Sie erfand

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