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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Kristallsäule eingeschlossen, dann schmolz sie zu einer goldenen Statue, verwandelte sich in einen Stab aus schimmerndem Zedernholz und wurde schließlich wieder zu einer Frau.
    Überall im mitternächtlichen Saal jonglierten die Menschen ihre dünnen violetten Flammen und formten und veränderten sie, denn die Nacht war eine Zeit der Veränderung und Qual.
    »Zauberer, Magier«, flüsterte einer der Männer von der Erde.
    »Nein, Halluzinationen. Sie übertragen ihren Wahnsinn auf uns, damit auch wir ihre Halluzinationen sehen. Telepathie. Autosuggestion und Telepathie.«
    »Und das macht Ihnen Sorge, Sir?«
    »Ja. Es ist kein Wunder, daß wir für geisteskrank gehalten werden, wenn uns Halluzinationen derart ›real‹ vorkommen können, uns und anderen. Und wenn diese Halluzinationen durchaus greifbar und fast glaubwürdig erscheinen. Wenn der Mann dort kleine blaue Feuergestalten bilden und die Frau sich in eine Säule verwandeln kann, wird es verständlich, daß normale Marsianer auch unsere Rakete nur für ein Fantasieprodukt halten könnten.«
    »Ach so«, sagten seine Männer in der Dunkelheit.
    Ringsum im großen Saal schimmerten blaue Flammen und flackerten und vergingen wieder. Kleine rote Sanddämonen rannen durch die Zähne schlafender Männer. Frauen wurden zu glitzernden Schlangen. Es roch nach Reptilien und Tieren.
    Am Morgen sahen alle wieder frisch und fröhlich und völlig normal aus. Flammen und Dämonen gab es nicht mehr im Saal. Der Kapitän und seine Männer warteten vor der Silbertür und hofften, daß sie sich öffnen würde.
    Nach etwa vier Stunden kam endlich Herr Xxx. Sie hatten den Verdacht, daß er schon mindestens drei Stunden lang auf der anderen Seite der Tür gewartet und zu ihnen hereingeschaut hatte, ehe er jetzt in Erscheinung trat und sie heranwinkte und in sein kleines Büro führte.
    Nach seiner Maske zu urteilen, die nicht nur ein, sondern gar drei Lächeln zeigte, war er ein jovialer, gutgelaunter Mann. Die Stimme hinter der Maske jedoch war die Stimme eines nicht sehr lächelnden Psychologen. »Was haben wir denn für Sorgen?«
    »Sie halten uns für wahnsinnig, aber Sie tun uns unrecht, das sind wir nicht«, sagte der Kapitän.
    »Oh, ich halte nicht Sie alle für verrückt.« Der Psychologe deutete mit einem kleinen Stab auf den Kapitän. »Nur Sie, Sie! Die anderen sind sekundäre Halluzinationen.«
    Der Kapitän schlug sich auf das Knie. »Das ist es also! Deshalb hat Herr Iii so fürchterlich gelacht, als ich vorschlug, daß auch meine Männer die Papiere unterschreiben sollten.«
    »Ja, Herr Iii hat mir davon erzählt.« Der Psychologe lachte durch den geschnitzten, lächelnden Mund. »Ein guter Witz. Wo war ich stehengeblieben? Sekundäre Halluzinationen, ja. Es kommen Frauen zu mir, denen Schlangen aus den Ohren kriechen. Wenn ich sie heile, verschwinden die Schlangen.«
    »Wir lassen uns gern heilen. Fangen Sie ruhig sofort an.«
    Herr Xxx schien überrascht. »Ungewöhnlich. Nur wenige wollen sich heilen lassen. Denn die Behandlung ist ziemlich drastisch.«
    »Scheuen Sie sich nicht. Ich bin sicher, daß Sie uns ganz normal finden werden.«
    »Ich möchte mir zuerst noch einmal Ihre Papiere ansehen, ob danach auch wirklich eine ›Behandlung‹ möglich ist.« Er sah in seinen Unterlagen nach. »Ja. Wissen Sie, Fälle wie der Ihre erfordern eine ganz besondere ›Behandlung‹. Die Leute dort im Saal sind relativ harmlose Fälle, doch wenn man in den Primär-, Sekundär-, Gehör-, Geruchs- und Geschmackshalluzinationen sowie in den Tast- und Sehtäuschungen bereits eine derartige Fertigkeit erlangt hat wie Sie, bleibt uns – darauf muß ich Sie leider hinweisen – als einziges Mittel die Euthanasie.«
    Mit einem Aufschrei fuhr der Kapitän hoch. »Hören Sie mal, jetzt haben wir aber genug! Untersuchen Sie uns, hauen Sie uns ans Knie, horchen Sie uns ab, stellen Sie Fragen!«
    »Bitte reden Sie, soviel Sie wollen. Machen Sie sich Luft.«
    Der Kapitän tobte eine Stunde lang. Der Psychologe hörte geduldig zu.
    »Unglaublich«, sagte er. »Die detaillierteste Traumvorstellung, die ich je gehört habe.«
    »Verdammt noch mal, wir zeigen Ihnen die Rakete!« brüllte der Kapitän.
    »Ja, ich würde sie gern sehen. Können Sie sie hier im Zimmer erscheinen lassen?«
    »Oh, selbstverständlich. Sie liegt dort bei Ihren Akten, unter R.«
    Ernsthaft schaute Herr Xxx in der bezeichneten Akte nach. Dann machte er »T-t-t« und schloß den Ordner langsam wieder. »Warum

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