Die Maschen des Schicksals (German Edition)
tot ist, hat sie es nicht leicht. Es ist schwierig für uns alle. Mir tut es so leid, dass Brad nie die Gelegenheit hatte, meinen Vater kennenzulernen. Ich bin sicher, die beiden hätten sich gut verstanden. Mein Dad war offen und freundlich, und er entdeckte an jedem, dem er begegnete, etwas Positives. Immer fand er ein freundliches Wort und machte diesen und jenen Scherz. Selbst als ich mich auf dem Tiefpunkt meiner Krankheit befand und völlig verzweifelt war, schaffte er es, mir ein Lächeln zu entlocken. Niemand konnte eine Geschichte besser erzählen als mein Vater. Ich frage mich, ob ich jemals aufhören werde, an ihn zu denken. Es scheint, als würde er meine Gedanken immer mehr statt weniger beschäftigen.
Für Mutter war es am schwersten, sich an ein Leben ohne ihn zu gewöhnen. In den letzten vierzehn Monaten ist sie um zehn Jahre gealtert. Sie ist emotional verkümmert –, ich weiß nicht, wie ich es sonst bezeichnen soll. Kaum etwas interessiert sie noch, sie wirkt gebrechlich und traurig. Auch körperlich scheint sie wesentlich schwächer geworden zu sein, als würde ihr Äußeres den inneren Zustand reflektieren, der von Trauer und Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Tatsächlich stellten wir bei ihrem letzten Arztbesuch fest, dass Mom mittlerweile fast drei Zentimeter kleiner ist als vor drei Jahren.
Die Resultate ihres Osteoporose-Tests sind noch nicht eingetroffen. Mutter hat also ein paar gesundheitliche Probleme, und ich denke, das liegt nicht nur an ihrer Trauer, sondern auch daran, dass sie sich einsam fühlt. Mein Vater war ihr Halt, ihr Gefährte.
Auch wenn es wie ein Klischee klingt: Es scheint, als fehlte ein Teil von ihr. Ohne ihn funktioniert sie nicht mehr wie vorher. Das kann ich verstehen, und bis zu einem gewissen Grad ergeht es mir auch so. Dad war so ein wichtiger Pfeiler in meinem Leben.
Als ich am frühen Sonntagnachmittag ankam, fand ich meine Mutter hinten im Garten, wo sie mit viel Aufwand und Hingabe ihre Rosen stutzte. Ihr Blumengarten ist ihr Stolz, eines der wenigen Dinge, die sie noch interessieren. Sie schneidet die Rosen, so sagt sie, damit sie kräftiger wachsen. Ich sehe da für mich eine Parallele zu Vaters Tod. Ihn zu verlieren, brachte mich dazu, das Wesentliche in meinem Leben zu erkennen, das Wirkliche. Am wichtigsten war es für mich, meinen eigenen Weg zu finden, um glücklich zu werden und die Herausforderungen der Selbstständigkeit anzunehmen. Mit dem Verlust meines Vaters fand ich den Mut, mein Leben in die Hand zu nehmen, und das tat ich, indem ich meinen eigenen Laden eröffnete – und durch meine Beziehung zu Brad.
Ich blieb an der offenen Tür stehen und beobachtete sie einen Moment. Völlig in ihre Gartenarbeit versunken, bemerkte sie mich nicht. Sie hatte einen großen Strohhut auf, der ihr Gesicht vor der Sonne schützte, und trug ihre grünen Gartenhandschuhe. Neben ihr stand ein Eimer, in den sie die abgeschnittenen Äste warf. Ich wollte sie nicht erschrecken, deshalb rief ich leise ihren Namen.
„Lydia!“ Sie drehte sich zu mir um, als ich aus dem Haus trat. „Ich dachte, du kämst früher.“
„Das dachte ich auch, aber ich bin nach der Kirche aufgehalten worden.“
„Von Brad und Cody?“
Ich nickte. „Ich treffe mich in einer Stunde mit ihnen. Wir wollen um den Green Lake herumlaufen.“ Dieser fast fünf Kilometer lange Spaziergang ist eine gute sportliche Betätigung, etwas, das ich viel häufiger tun sollte. Brad ist dagegen in bester Form und könnte den See auch joggend umrunden. Cody besitzt einen Golden Retriever namens Chase – „chase“ wie jagen, wegen seiner fürchterlichen Angewohnheit, allem und jedem hinterherzuhetzen. Wahrscheinlich wird Cody seinen Hund mitbringen, doch er war bereits vorgewarnt, dass er ihn an der Leine halten müsse. Vielleicht besorge ich mir ein Buch über Hundeerziehung und arbeite mit Cody, um ihm ein paar grundsätzliche Übungen beizubringen. Wie auch immer, dieser Nachmittag versprach unterhaltsam zu werden. Ich war fast versucht, meine Inlineskates mitzunehmen, um mit den beiden – oder besser den dreien – mithalten zu können.
Die Hand meiner Mutter bebte, als sie einen weiteren Zweig abknipste. Dieses Zittern war mir in letzter Zeit öfter aufgefallen. „Was hast du zu Mittag gegessen, Mom?“, fragte ich sie. Ihre Essgewohnheiten waren miserabel, und Margaret und ich machten uns Sorgen, dass sie nicht genug zu sich nahm. Ähnliches befürchteten wir bezüglich ihrer Medikamente.
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