Die Maschen des Schicksals (German Edition)
Leute bei der Beerdigung, und alle meinten ständig, wie gut Mom aussah. Sie sah nicht gut aus, sondern tot.“ Die letzten Worte flüsterte sie nur noch, weil sie das Gefühl hatte, ihre Stimme würde versagen. Sie wollte nicht, dass Annie merkte, wie sehr sie das alles noch mitnahm. „Ich wünschte mir damals, dass alle endlich abhauen. Diese ganzen Leute um mich konnte ich nicht ertragen. In dieser Nacht …“ Sie schluckte. „Nachdem alle Besucher gegangen waren und ich im Bett lag, konnte ich nicht schlafen. Dann wurde es mir mit einem Mal klar. Wir hatten Mom gerade beerdigt. Das war nicht irgendeine Fernsehshow. Sie war weg. Ich konnte den Gedanken nicht aushalten und habe angefangen zu schreien.“
Annie starrte sie an. „Dir muss es ziemlich mies gegangen sein“, sagte sie leise.
„Allerdings. Richtig mies.“ Courtney nickte. „Ich konnte einfach nicht aufhören und schrie und schrie immer weiter. Alle kamen in mein Zimmer gerannt, und ich hörte immer noch nicht auf zu schreien. Ich wollte meine Mutter zurück. Sie sollte bei mir sein. Mir ging es so, als wäre
ich
diejenige, die gestorben war, nicht sie. Ich wünschte mir in dieser Nacht, ich wäre es gewesen.“
„Was hat dein Vater getan?“
„Dad hielt mich fest.“ Tränen rollten ihr über die Wangen, und sie wischte sie erneut weg.
„Dann setzten sich Jason und Julianna auch zu mir aufs Bett, und wir haben alle zusammen geheult. Bis zu diesem Zeitpunkt … Ich bin die Jüngste, weißt du? Julianna und ich standen uns nicht sehr nahe – Jason und ich auch nicht. Aber wir wurden in dieser Nacht richtige Geschwister. Unsere ganze Familie hat sich verändert. Inzwischen haben wir alle ein inniges Verhältnis zueinander.“ Es war ihr peinlich, dass sie so viel erzählt hatte.
Annie sah aus, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte.
Courtney wollte ihr klarmachen, dass sie zwar ihren Vater auf eine Art verloren hatte, er aber immer noch Teil ihres Lebens war. Und dafür sollte sie dankbar sein.
„Mein Zimmer ist da vorn.“ Annie zeigte auf eine Tür hinten im Flur.
Courtney warf einen letzten Blick auf die Fotos und folgte Annie langsam die restlichen Stufen hoch und zu ihrem Zimmer.
Annie saß schon auf ihrem Bett, als Courtney hereinkam. Klamotten lagen überall auf dem Boden, und die Kommode war voller CDs, Bücher, Schminkutensilien und Zeitschriften. Das Foto eines Jungen klebte in einer Ecke des Spiegels.
Courtney ging hinüber, um den Schnappschuss eingehender zu betrachten. Ein weiterer, den sie vorher nicht gesehen hatte, war an der unteren Ecke des Spiegels befestigt. Er zeigte Annie und denselben Jungen bei einem Schulball, wie sie unter einem Bogen aus weißen und schwarzen Luftballons standen. Annie trug ein pinkfarbenes Partykleid mit einer passenden Stola und ihr Partner einen Anzug.
„Das ist Conner“, flüsterte Annie, ihre Stimme zitterte leicht. „Wir haben uns vor zwei Monaten getrennt. Er meint, ich wäre zu nervend geworden.“
„Er sieht süß aus.“ Courtney vermutete, dass Annie sich immer noch etwas aus ihm machte, sonst hätte sie wohl das Foto nicht behalten.
Annie zuckte die Schultern. „Er ist okay.“
„Siehst du ihn noch?“
„Ab und zu. Er geht jetzt mit einer anderen, aber da er mit Andrew in einem Footballteam spielt, ist es kaum zu vermeiden, dass wir uns ab und zu begegnen. Du magst meinen Bruder, oder?“
Von dieser Frage überrumpelt, wirbelte Courtney herum und spürte, wie sie rot wurde. „Ich finde, er … ist nett.“ Sie wollte nicht mehr dazu sagen, aus Angst, missverstanden zu werden. Andrew war süß, beliebt und laut Bethanne eines der Sportasse der Schule. Wahrscheinlich waren alle Mädchen in ihn verknallt. Courtney ging nicht davon aus, dass sie eine Chance hatte, und das akzeptierte sie. Sie würde keine Zeit damit verschwenden, einem aussichtslosen Fall hinterherzutrauern. Wenn sie Glück hatte, konnten sie vielleicht Freunde werden …
Annie seufzte. „Da wir gerade von meinem Bruder reden: Er meinte, ich sollte dir für das danken, was du an dem Abend neulich getan hast. Und er hat recht. Ich … ich war danach nicht wirklich sauer auf dich.“
„Ich weiß. Du hast dich im Grunde mehr über dich selbst geärgert. Eigentlich wolltest du dich gar nicht so mitreißen lassen, und dann war’s zu spät.“
Annie blickte zu Boden. „Es tut mir leid wegen deiner Mom“, sagte sie. „Aber mein Vater … Das ist nicht dasselbe. Mein Dad
wollte
gehen. Deine
Weitere Kostenlose Bücher