Die Maschen des Schicksals (German Edition)
und das Haus verließ.
Die zwei sahen ihr nach, beide ein wenig bedrückt, als hätte sie sie verlassen und einem schrecklichen Schicksal übergeben. Die beiden Enkelsöhne waren ihre ganze Freude, aber sie wusste nicht, wie Aurora das schaffte. Sie bewunderte ihre Tochter für ihre Fähigkeiten als Ehefrau und Mutter.
Manchmal fürchtete Elise, dass sie in beidem versagt hatte. Sie hatte immer geglaubt, dass es nicht ihre Bestimmung war, eine Ehefrau zu sein. Und ihre beiden Ehejahre schienen es ihr bewiesen zu haben. Aurora war der einzige Schatz, den sie aus dem Wrack ihrer Ehe hatte bergen können. Ihre Tochter, mit eins dreiundachtzig genauso groß wie ihr Vater, war ein unbeschreiblicher Segen. Auch wenn Elise es nicht gern zugab, aber sie waren in mehr als einer Hinsicht zusammen erwachsen geworden. Glücklicherweise standen sie sich noch immer nahe.
Maverick hatte den Unterhalt für sein Kind regelmäßig gezahlt. Und wenn ihm danach war, dann rief er Aurora von dort an, wo er gerade lebte, und das schien jedes Mal in einem anderen Teil des Landes zu sein. Schon bald nach ihrer Hochzeit hatte er es aufgegeben, einen regelmäßigen Job auszuüben – obwohl er ziemlich viel Erfolg beim Verkauf von Versicherungen gehabt hatte – und konzentrierte seine ganze Energie auf das Spielen. Bindungen waren für einen Spielsüchtigen störend. Und wenn ein fester Wohnsitz für einen Spieler schon nicht geeignet war, dann war es eine Familie noch weniger. Während Elise in den Wehen lag, hatte ihr liebender Ehemann im Wartezimmer ein Pokerspiel angeleiert und die Geburt seines einzigen Kindes verpasst.
Elise nahm den 48er-Bus, fuhr in Richtung Blossom Street und stieg drei Stationen vor der Stadtbibliothek von Seattle aus, die kürzlich erst renoviert worden war. Durch ihre Arbeit in der Schulbibliothek hatte Elise einige der einflussreichsten Bibliothekare Washingtons kennengelernt. Zu denen gehörte Nancy Pearl, die das Programm „Wenn ganz Seattle das gleiche Buch liest“ organisiert hatte. Überall in den USA waren Städte, ob groß oder klein, dem Beispiel Seattles gefolgt. Elise war erfreut gewesen, dass diese Idee so beliebt wurde. Das zeigte, dass die Bibliothek noch immer ein wichtiger Teil der Gesellschaft war.
Als sie ausstieg, drückte sie ihre Tasche ganz fest an sich. Die Gegend war einmal für ihre Taschendiebe und Straßenräuber bekannt gewesen. Das schien sich nun geändert zu haben, aber man konnte ja nie vorsichtig genug sein.
Vor Fanny’s Floral blieb sie stehen, um in der Auslage die purpurroten Nelken zu bewundern. Sie hatte vorher noch nie Nelken in einer solchen Farbe gesehen und war versucht, für Aurora einen Strauß mitzunehmen. Sie sollte wahrscheinlich kein Geld für Blumen verschwenden, aber dennoch … Nun ja, sie würde darüber nachdenken.
Eine Tigerkatze schlief zusammengerollt im Schaufenster des Wollgeschäfts. Elise öffnete die Tür, und eine kleine Glocke erklang. Offenbar an das Geräusch gewöhnt, rührte sich die Katze nicht.
„Guten Morgen“, wurde sie von einer freundlich aussehenden Frau begrüßt. Eine andere, etwas ältere, stand am Tresen und nickte Elise zu.
„Ja, es ist ein schöner Morgen“, erwiderte sie, von der warmen Ausstrahlung der jüngeren Frau sofort angenehm berührt. Das hier war ein sehr sympathischer Laden, geschmackvoll gestaltet und nicht zugestopft mit Wolle. Es gefiel Elise, dass sie über die Schaukästen hinwegsehen konnte. „Ich wollte mich wegen des Unterrichts erkundigen“, sagte sie, etwas abgelenkt von den Farben und Mustern überall um sie herum. Auf den Auslagen waren fertige Teile ausgestellt, sehr raffiniert auf Drahtrahmen angeordnet. Ihr Blick wurde von einem Pullover angezogen, auf dem vorn ein Dinosaurier gestrickt war. Luke und John würde das gefallen. Vielleicht könnte sie so etwas eines Tages für ihre Enkel machen.
„Diese Woche kann man sich für den Unterricht im Sockenstricken anmelden.“
„Socken“, wiederholte Elise, nicht sicher, ob sie so ein Kurs interessierte. „Ich habe früher mit fünf Nadeln gestrickt, aber das ist schon eine Weile her.“
„Wir arbeiten mit zwei Rundnadeln“, erklärte ihr die Frau. „Hier, ich zeige Ihnen mal, was ich meine.“ Sie führte Elise durch den Mittelgang, wo eine Reihe von Socken auf Plastikfüßen präsentiert wurden. Die Muster sahen kompliziert aus – viel zu kompliziert für Elises Geschmack. Es war schon Jahre her, seit sie Stricknadeln in der Hand
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