Die Maschen des Schicksals (German Edition)
zu einem verwunschenen Häuschen im Märchen, dachte sie immer. Eine Giebelwand ragte vom Schlafzimmer im ersten Stock hervor. Von der Fensterbank dort konnte man die gesamte Nachbarschaft überschauen. Bethanne hatte oft an diesem Fenster gesessen und gelesen oder ihren Tagträumen nachgehangen. In diesem wunderschönen Heim hatte sie ihr perfektes Leben gelebt. Ihr Märchentraumleben …
Sie schaltete den Motor aus und blieb einen Moment in ihrem fünf Jahre alten Plymouth sitzen. Bethanne versuchte genug Energie und Kraft zu sammeln, um dieses Haus mit einem Lächeln auf dem Gesicht zu betreten. Dann holte sie tief Luft, stieg aus und zog die Tasche mit den Lebensmitteln, die sie gerade eingekauft hatte, vom Rücksitz.
„Ich bin zu Hause!“, rief sie so fröhlich, wie sie konnte, während sie die Tür öffnete.
Sie war erleichtert, als alles still blieb.
„Andrew? Annie?“ Sie stellte die Einkäufe auf dem Küchentresen ab, füllte den Teekessel, machte den Herd an und setzte das Wasser auf. Vor der Scheidung war sie keine große Teetrinkerin gewesen, aber im letzten Jahr hatte sie sich praktisch zu einer Süchtigen entwickelt. Sie trank inzwischen zwei oder drei Kannen pro Tag.
„Ich bin da“, rief sie ein zweites Mal. Wieder keine Antwort.
Nach wenigen Minuten begann der Kessel zu pfeifen, und sie goss das dampfende Wasser über die Earl-Grey-Teebeutel in der Keramikkanne, die einmal ihrer Großmutter gehört hatte. Dann trug sie den Tee zum Frühstückstisch.
Als sie in der kleinen Nische saß, dachte sie erneut über den Sinn ihres Lebens nach. Ein weiteres Mal versuchte sie zu verstehen, was ihr und ihren Kindern in den vergangenen zwei Jahren widerfahren war. Nichts schien mehr in Ordnung zu sein. So als würden nicht einmal mehr die Jahreszeiten in der richtigen Reihenfolge ablaufen. Oder als hätte der Mond plötzlich die Sonne ersetzt … Es fiel ihr immer noch schwer zu begreifen, was passiert war – und warum.
Alles hatte vor sechzehn Monaten an einem Valentinstag-Morgen begonnen … Die Kinder waren wach und machten sich in ihren Zimmern lautstark für die Schule fertig. Kurz zuvor, als sie gehört hatte, wie Andrew und Annie sich wegen des Badezimmers stritten, hatte sie ihren Morgenmantel übergezogen und war in die Küche gegangen, um das Frühstück vorzubereiten. Dann, als sie zum Schlafzimmer zurückging und vor der Tür stehen blieb, sah sie, dass ihr Mann auf dem Bett saß, die Knie angewinkelt, das Gesicht in den Händen vergraben. Bethanne fürchtete zuerst, er hätte eine Grippe. Normalerweise war er um diese Uhrzeit bereits aufgestanden und für die Arbeit angekleidet. Er liebte seinen Job als Makler bei einer erfolgreichen Grundstücksfirma. Sein Verdienst war hoch genug, sodass Bethanne bei den Kindern zu Hause bleiben konnte. Als Andrew und dreizehn Monate später Annie geboren waren, hatte sie beschlossen, sich vollständig den Kindern zu widmen. Grant hatte ihre Entscheidung unterstützt. Es gefiel ihm, dass sie zu Hause blieb, Zeit für ihn und die Kinder hatte, und wusste es zu schätzen, dass sie oft gediegene Geschäftsessen für ihn und seine Kollegen vorbereitete.
„Grant?“, fragte sie, vollkommen unvorbereitet auf das, was nun folgen sollte.
Er blickte auf, und Bethanne sah solchen Schmerz in seinen Augen, dass sie sich zu ihm aufs Bett setzte und ihm die Hand auf die Schulter legte. „Was ist los?“, flüsterte sie.
Grant schien keinen Ton herauszubringen. Er öffnete den Mund, um zu reden, aber es kam kein Wort.
„Mom!“, rief Annie vom Treppenabsatz herunter. „Ich brauche deine Hilfe!“
Bethanne zögerte einen Augenblick, hin- und hergerissen zwischen der Sorge um ihren Mann und den Bedürfnissen ihrer Kinder, dann drückte sie kurz Grants Arm. „Ich bin gleich zurück.“ Tatsächlich dauerte es zehn Minuten, und beide Kinder hatten das Haus verlassen, als sie wieder zurückkam.
Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, saß Grant immer noch so da wie zuvor. Sein Gesichtsausdruck war zutiefst bekümmert.
„Sag es mir“, drängte sie leise, während sie sich beunruhigt fragte, was passiert sein könnte. Grant war vor einer Woche beim Arzt gewesen, und obgleich alles in Ordnung zu sein schien, waren sämtliche Routineuntersuchungen vorgenommen worden. Vielleicht hatte Dr. Lyman etwas gefunden, und Grant wagte jetzt erst, darüber zu reden. Sie setzte sich wieder neben ihn, die Matratze bewegte sich leicht unter ihrem Gewicht.
„Heute ist
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