Die Maske des Meisters
Morris und dem vermeintlichen Autounfall? Bezeichnest du ihn als Kollateralschaden?“
„Er hat dich tagelang verfolgt, und ich habe ihn in Ruhe gelassen, genauso wie diesen rothaarigen Kerl. Aber als er dich in der Tankstelle bedrängte und danach die Stadt immer noch nicht verließ, musste ich handeln, um dich zu schützen. Ich habe ihm nur einen Denkzettel verpasst und wollte ihn nicht über den Haufen fahren.“
„Er ist mein Mann und kein Stalker“, stellte sie schnippisch klar.
„War“, korrigierte Vali sie: „Er war dein Mann. Ihr habt euch getrennt.“
„Du bist bestens informiert.“ Deutlich hörte sie die Eifersucht zwischen seinen Worten heraus, und es gelang ihr nicht, die Wärme, die sich in ihrem Bauch ausbreitete, zu unterdrücken. Aber sie durfte nicht zulassen, dass die Sympathie für ihn zurückkehrte.
„Claire, ich habe nicht …“
Ein Blitz erhellte für Sekunden die Umgebung vor ihrem Fenster. Es donnerte jedoch erst viel später.
„Ich will das nicht hören, Vali, oder wie auch immer du heißt“, sagte sie bissig, aber in ihren Augen brannten Tränen. „Machen wir uns nicht länger etwas vor! Ich bin dein potenzielles Opfer. Nicht deine Schülerin, nicht deine Geliebte, sondern deine Beute.“
„Manchmal sind die Dinge nicht klar einzuordnen.“
„Ich kann dir nicht trauen. Alles, was du mir sagst, könnte Lüge und Teil deines großen Plans sein. Ich bin nur eine Spielfigur, die du lenkst, aber ich habe es satt, manipuliert und kontrolliert zu werden. Nicht Morris ist der Stalker, sondern du.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, tat es ihr leid, aber sie entschuldigte sich nicht und nahm auch das Gesagte nicht zurück.
„Ich wollte mit dir reden, aber das scheint unmöglich zu sein, denn du hörst mir gar nicht zu“, brummte er verärgert und legte auf.
Überrascht sah Claire den Hörer an. Vali hatte das Gespräch einfach unterbrochen. Das war ihr Part gewesen. Sie konnte es kaum fassen. Doch nun war die Leitung tot, und sie konnte ihn nicht erreichen, um ihn weiterzubeschimpfen.
Belügst du dich nicht selbst, fragte sie sich. Ging es ihr nicht eher darum, die Verbindung aufrechtzuerhalten, um seine Stimme zu hören? Und weil sie wusste, dass das zarte Band, das sie geknüpft hatten, zerriss, sobald das Telefonat beendet wurde. Ab sofort würden sie Feinde sein.
Sie hörte ein Geräusch. Es klang, als würde die Haustür aufgeschlossen werden.
„Todd?“, rief Claire. Plötzlich verspürte sie den Drang, ihrem Bruder alles zu beichten. Sie hielt diese Geheimniskrämerei nicht mehr aus. Sollte er ihr ruhig den Kopf abreißen, schlimmer als jetzt konnte sie sich nicht fühlen. Es gärte in ihr. Diese Lügen und Ausflüchte machten sie krank. Sie konnte Todd kaum noch in die Augen sehen.
Claire rannte aus dem Büro, nahm jeweils zwei Treppenstufen auf einmal und blieb im Erdgeschoss stehen. Dort war alles ruhig. Die Eingangstür war geschlossen. Es brannte nur das Licht im ersten Stock, im Parterre war es dunkel. Todd war nicht da.
Erst jetzt, da Claire zufällig ihrem Blick im Garderobenspiegel begegnete, wurde ihr bewusst, dass sie weinte. Dicke Tränen liefen ihre Wangen herab. Sie schniefte und wischte sie mit dem Handrücken ab, doch ihre Wangen waren sofort wieder feucht, da sie nicht zu weinen aufhören konnte.
Es blitzte und donnerte mittlerweile öfter. Claire hatte gehofft, dass das Unwetter an ihnen vorbeiziehen würde, doch es kam immer näher und würde Oakwood genau treffen. Es schien ein trockenes Gewitter zu werden, dabei brauchten die Felder dringend Regen. Es würde sich über dem Ort entladen, ohne die ersehnte Erlösung zu bringen, und danach wäre die Luft genauso drückend wie vorher.
Draußen wurde es immer stürmischer. Der Wind rüttelte an den Fensterläden. Er wehte so stark, dass die gläserne Terrassentür im Wohnzimmer aufgedrückt wurde. Claire runzelte ihre Stirn. Hatte Todd sie nicht verschlossen? Er hatte doch zweimal alle Fenster im Haus kontrolliert, da war sich Claire vollkommen sicher.
Ihr wurde mulmig.
Sie eilte zur Tür, die hin- und herschwang. Aber als Claire sie schließen wollte, bemerkte sie Kratzer am Rahmen. Ein Stück Holz war herausgebrochen.
Der Wind ist doch gar nicht so stark. Sie wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Sie musste ruhig bleiben. Die letzten Wochen waren anstrengend gewesen. Möglicherweise sah sie schon überall Verbrechen, wo keine waren.
Es war zu dunkel, um zu erkennen, ob der
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