Die Maske des Meisters
getötet. Es gibt keinen Grund zur Freude. Du hast ihnen wehgetan und sie verschleppt, du bist grausam, brutal und unmenschlich, ohne jegliches Mitgefühl, siehst dich selbst als Gott, der über Leben und Tod entscheidet .
Es brach aus ihr heraus. Sie konnte sich selbst nicht bremsen, ihre Finger tippten von alleine.
NYMPHAE: Seid ihr eine Bande, ein Menschenhändlerring? Habt ihr Cindy und Libby nach Südamerika verschleppt, wo sie schmierige Kerle mit vollem Körpereinsatz bedienen müssen?
VALI: Ich bin kein Monster .
Claire erschrak fast zu Tode, als es zu klingeln begann. Das tragbare Telefon musste in Todds Zimmer liegen, denn das Läuten klang nah. Ganz bestimmt würde sie nicht abheben. Nicht jetzt! Bestimmt wollte ihr ein armes Würstchen aus einem Callcenter ein Lotterielos verkaufen, samt verstecktem Jahresabonnement.
NYMPHAE: Ist das deine Auffassung von Lust? Du unterwirfst Frauen gewaltsam und zerstörst ihr Leben. Dann schändet ihr Götter sie und macht sie zu seelischen Krüppeln .
Das Klingeln war nervtötend. Da war jemand ziemlich hartnäckig. Kurz dachte sie daran, schnell ins Nebenzimmer zu laufen, denn der Anrufer könnte Todd sein. Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Ihr Handy lag neben der Tastatur. Wenn ihr Bruder versuchte, sie zu erreichen, würde er es als Nächstes auf ihrem Mobiltelefon versuchen.
VALI: Melde dich .
Claire verstand nicht, was er meinte. War das ein Abschiedsgruß? Oder sollte es heißen: „Melde dich, solltest du dich wieder eingekriegt haben?“ Sollte sie sich bei ihm melden, wenn sie bereit war, sich ihm vollkommen zu unterwerfen?
NYMPHAE: Wenn du Ase bist, warum schreibst du es nicht? Warum drückst du dich um eine konkrete Antwort? Befürchtest du, die Cops auf deine Spur zu führen?
VALI: Melde dich! Geh ran .
Sie horchte auf. Konnte er …? Nein, das war unmöglich. Oder doch? Möglich war es schon, aber ihre Vermutung durfte sich nicht als wahr entpuppen.
VALI: Das Telefon. Jetzt!
Tatsächlich! Claire war fassungslos und entsetzt. Er war ihr näher, als sie gedacht hatte. Wenn er ihre Telefonnummer in Erfahrung gebracht hatte, wusste er auch, wo sie wohnte. Er kannte ihren Namen, ihre Adresse, wusste, dass sie in diesem Moment alleine war.
NYMPHAE: Okay. Gib mir einen Moment .
Schwerfällig erhob sie sich aus dem Bürostuhl. Es zog sie zurück auf den Sitz, als wäre er magnetisch, doch sie gab sich einen Ruck und machte sich auf den Weg ins Nachbarzimmer. Ihre Beine waren schwer wie Blei. Claire wollte den Anruf annehmen und fürchtete sich gleichzeitig so sehr davor, dass ihr Körper ihr kaum noch gehorchen wollte.
Sie beruhigte sich damit, dass es nur ein Telefonat war. Wäre Vali in der Nähe des Hauses, würde er längst vor ihr stehen.
Als sie vor dem tragbaren Telefon stand, das auf einem Sitzsack neben Todds Bett lag, starrte sie es einige Sekunden nur an. Sie traute sich nicht, es anzufassen, geschweige denn endlich ranzugehen, aber sie musste, wenn sie ihn auf Distanz halten wollte. Es hörte nicht auf zu klingeln, Vali war hartnäckig.
Gleich würde sie mit dem Mann hinter der Maske sprechen. Mit Vali, ihrem Lehrer, der ihre Sehnsucht nach exzessiver Lust so gut verstand, diese auf sanft-fordernde Weise zu lenken wusste und ihr die Geheimnisse sexueller Extravaganzen verriet. Mit Ase, dem wahrscheinlich meistgesuchten Verbrecher im Hamilton County.
Der Mann mit den zwei Gesichtern. Beide waren Masken. Wer steckte dahinter? Kein Meister, kein Gott, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Wie in Zeitlupe griff sie nach dem Hörer, drückte den Knopf mit dem grünen Hörer und hauchte ein zaghaftes „Hallo“ in die Sprechmuschel.
18. KAPITEL
„Ja, ich bin Ase.“ Die Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung war ein warmer Bariton. Er sprach die einzelnen Wörter ruhig und weich aus, als wollte er damit auf Claire einwirken. „Was bringt dir nun die Gewissheit? Eine viel größere Angst, als du vor dem Rasiermesser gehabt hast. Furcht ist nicht gleich Furcht, lerne das. Beim Webcam-Sex war sie erregend, jetzt jedoch ist sie schauderhaft. Begreifst du nun den Unterschied?“
„Ja.“ Sie wunderte sich, dass er keinen Stimmenverzerrer benutzte, aber vielleicht hatte er nicht vorgehabt, sie anzurufen. Er klang nett, erklärend wie ein Lehrer. Und auf eine unterschwellige, unaufdringliche Art erotisch.
„Wieder etwas gelernt, meine kleine Nymphe“, sprach er verführerisch. „Ich habe versucht, dich zu
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