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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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    Ihr Verhältnis zur Mutter charakterisiert Arielle als paradox: Sie bekomme von ihr Mitteilungen, die sie nicht versteht, und sie wisse nicht, wie sie sich schützen soll. Jemand hat ihr einmal gesagt, sie sei die Ursache der Uneinigkeit ihrer Eltern; danach hat sie sich schuldig gefühlt und ihren Eltern sogar geschrieben, um sich zu rechtfertigen.
    Ständig hat sie den Eindruck, daß ihre Mutter sie negativ konditioniert, wie eine Gehirnwäsche, die dazu bestimmt ist, sie herabzuwürdigen. Dank einer den Sinn verfälschenden Ausdrucksweise birgt jedes Wort der Mutter den Anlaß für ein Mißverständnis, das dann zur Gelegenheit wird, der Tochter einen Strick zu drehen. Helene versteht sich darauf, Dritte zu benützen wie einen Bumerang, um die Konflikte auszulösen oder geschickt die Verhältnisse umzukehren, indem sie ironische Bemerkungen macht. Sie sagt die Dinge, als sei sie die einzige, die Bescheid wüßte, und bringt mittels kaum verhohlener Anspielungen Arielle immer wieder dazu, sich schuldig zu fühlen. Die ist ständig auf der Hut und fragt sich, ob sie wohl das Nötige tut, um nicht das Mißfallen ihrer Mutter zu erregen.
    Eines Tages entdeckt Arielle, an die Wand gepiekt auf der Toilette ihrer Mutter, eine Karte, die sie ihr zum Geburtstag geschickt hatte. Das Datum ist unterstrichen und daneben angemerkt: «Mit einem Tag Verspätung angekommen!» Daraufhin folgert sie: «Was ich auch tue, ich bin schuldig.»
     
    Die Perversion richtet beträchtliche Schäden an in den Familien. Sie zerstört die Bindungen und zerbricht jede Individualität, ohne daß man sich dessen bewußt wird. Die Perversen verstehen ihre Gewalt dermaßen gut zu verfälschen, daß es ihnen häufig gelingt, ein sehr vorteilhaftes Bild von sich selbst zu vermitteln. Das herabwürdigende Vorgehen kann sich in einer noch perverseren Art einstellen, indem es einen Dritten handeln läßt, im allgemeinen den anderen Elternteil, der selbst, ohne es zu wissen, unter der Einwirkung des anderen steht.
     
    Arthur ist ein Kind, das seine Mutter Chantal sich gewünscht hat, aber nicht unbedingt sein Vater Vincent. Der läßt seine Frau das Baby versorgen: «Das ist die Rolle der Frauen!» Wenn sie zuviel Zeit damit zubringt, sich um ihren Sohn zu kümmern, bemerkt er ironisch: «Man schmust mit seinem Balg!» Dieser offenbar harmlose Satz ist in einem Ton gesagt, daß Chantal sich bei einem Fehler ertappt fühlt, selbst wenn sie erwidert, das sei vollkommen normal.
    Ein anderes Mal, als sie Arthurs Windeln wechselt und ihm dabei ein Lied vorsingt und ihn auf den Bauch küßt, erklärt ihr Vincent, der an der Türschwelle steht, daß viele Mütter ein inzestuöses Benehmen gegenüber ihren Söhnen an den Tag legen und sie von der Wiege an sinnlich erregen. Chantal antwortet scherzhaft, diese Bemerkung sei unpassend, aber von diesem Tag an verliert sie ein wenig von ihrer Spontaneität im Umgang mit ihrem Sohn, wenn sie weiß, daß Vincent in der Nähe ist.
    Vincents Erziehungsprinzipien sind sehr streng: Man darf nicht auf alle Launen der Kinder eingehen; wenn sie ordnungsgemäß ernährt und neu gewickelt wurden, muß man sie weinen lassen. Man braucht nicht seine Umgebung zu verändern wegen eines Kindes, dies hat zu lernen, nichts anzufassen. Dafür reicht ein ordentlicher Klaps auf die Finger. Der kleine Arthur, der ein fügsames und leicht erziehbares Kind ist, wird oft hart angefaßt.
    Da Arthur ein schönes, pausbäckiges Baby geworden ist, nennt sein Vater ihn «Fettsack». Das versetzt Chantal in Wut. All ihrem Bitten und Flehen zum Trotz nennt er ihn weiterhin so, selbst um ihm freundliche Dinge zu sagen: «Du bist es, die das geniert, schau, ihn stört das nicht, er lächelt!» Andere Personen, Familienangehörige oder Freunde, protestieren, aber dieser Spitzname bürgert sich ein auf Vincents Lippen.
    In der Folge hat Arthur gewisse Schwierigkeiten beim Sauberwerden. Er pinkelt in die Hose bis zum Kindergartenalter, bleibt noch längere Zeit nächtlicher Bettnässer. Das regt Vincent auf, er läßt seine Wut an ihm aus, versohlt ihm den Hintern. Aber er äußert seine Verbitterung vor allem gegenüber Chantal, die, weil sie Vincents kalte Wut fürchtet, die Sache in die Hand nimmt und sich ihrerseits über ihren Sohn aufregt. Schließlich ist sie es, die ihm am Ende eine Tracht Prügel verpaßt. Danach fühlt sie sich schuldig und wirft Vincent vor, zu streng zu sein mit Arthur. Der entgegnet ihr sehr kühl: «Aber Du

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