Die Masken der Niedertracht
Anspielungen. In diesen Familien sind die Schranken zwischen den Generationen nicht deutlich gezogen; es gibt keine Grenzen zwischen dem Alltagsleben und dem speziell Sexuellen. Es handelt sich strenggenommen nicht um Inzest, sondern um das, was der Psychoanalytiker P.-C. Racamier das Inzesthafte (l’incestuel) genannt hat: 8 «Das Inzesthafte, das ist ein Klima: ein Klima, wo der Wind des Inzests weht, ohne daß Inzest stattfände.» Das ist es, was ich den soften Inzest nennen würde. Es gibt nichts juristisch Angreifbares, aber die perverse Gewalt ist da, ohne sichtbare Merkmale.
Da ist eine Mutter, die ihrer zwölfjährigen Tochter vom sexuellen Versagen ihres Mannes erzählt und seine Eigenschaften mit denen ihrer Liebhaber vergleicht.
Da ist ein Vater, der seine Tochter regelmäßig bittet, ihm als Alibi zu dienen, ihn zu begleiten und im Auto auf ihn zu warten, wenn er seine Geliebten besucht.
Da ist eine Mutter, die ihre vierzehnjährige Tochter bittet, ihre Genitalien zu untersuchen und nachzusehen, ob sie nicht rote Flecken habe: «Schließlich kennen wir uns, wir sind unter Frauen!»
Da ist ein Vater, der die Kameradinnen seiner achtzehnjährigen Tochter verführt und sie in ihrer Gegenwart liebkost.
Diese Verhaltensweisen führen zu einem gefährlichen Klima geheimen Einverständnisses. Die Schranken zwischen den Generationen werden dabei nicht respektiert, die Kinder werden nicht an ihrem Platz als Kinder belassen, sondern einbezogen als Zeugen des Sexuallebens der Erwachsenen. Dieser Exhibitionismus wird oft dargestellt als eine Art und Weise, modern zu sein, «in». Das Opfer kann sich nicht wehren; wenn es revoltierte, würde man sich lustig machen: «Was bist Du verklemmt!» Es ist also gezwungen, sich selbst zu verleugnen und, will es nicht verrückt werden, Prinzipien zu akzeptieren, die es zunächst als unsittlich empfunden hat. Auf paradoxe Weise kann es geschehen, daß diese großzügige Haltung mit anderen, strengen Erziehungsgrundsätzen koexistiert, zum Beispiel der Bewahrung der Jungfräulichkeit der Tochter. Die Herrschaft des perversen Einflusses hindert das Opfer, die Dinge deutlich zu erfassen und ihnen ein Ende machen zu können.
2. Die Gewalt am Arbeitsplatz
Die perverse Beziehung kann für ein Paar grundlegend sein, da die Partner einander gewählt haben. Sie kann nicht gleichermaßen das Fundament einer Beziehung im Beruf, im Unternehmen sein. Dennoch: selbst wenn die Gesamtumstände verschieden sind, so handelt es sich doch um eine ähnliche Wirkungsweise. Man kann sich also des Musters, das sich beim Paar zeigt, bedienen, um gewisse Verhaltensweisen zu verstehen, die im Berufsleben zum Vorschein kommen.
Im Betrieb erwachsen die Gewalt und das Quälen aus dem Zusammentreffen von Machtlust und Perversität. Man trifft dort sehr viel weniger auf große zerstörerische Perversionen, aber die kleinen, gewöhnlichen Perversionen sind hier an der Tagesordnung.
In der Arbeitswelt, in den Universitäten und den Lehranstalten sind die Verfahren des Quälens sehr viel stereotyper als in der privaten Sphäre. Sie sind deswegen nicht weniger zerstörerisch, selbst wenn die Opfer ihnen weniger lang ausgesetzt sind insoweit, als sie sich, um ihres Überlebens willen, meistens dafür entscheiden wegzugehen (Urlaub wegen Krankheit oder Ausscheiden). Im öffentlichen Bereich (Arbeitswelt, Politik, Verbände) gelang es erstmals, diese Vorgänge anzuprangern. Opfer taten sich zusammen, wie die Arbeiterinnen von Maryflo, um klarzustellen, daß das was sie durchmachten, unerträglich war.
Worum geht es?
Unter Mobbing am Arbeitsplatz ist jede Verhaltensweise zu verstehen, die durch das bewußte Überschreiten von Grenzen – in Benehmen, Handlungen, Gesten, mündlichen oder schriftlichen Äußerungen – die Persönlichkeit, die Würde oder die physische bzw. psychische Unversehrtheit einer Person beeinträchtigen, deren Anstellung gefährden oder das Arbeitsklima verschlechtern kann.
Obgleich diese Form von Quälerei so alt ist wie die Arbeit selbst, wurde sie doch erst zu Beginn dieses Jahrzehnts als ein Phänomen erkannt, das nicht nur die Arbeitsatmosphäre ruiniert und die Produktivität mindert, sondern vermehrt zu Arbeitsausfall führt durch die psychologischen Schäden, die es hinterläßt. Dieses Phänomen wurde vor allem in den angelsächsischen und den nordischen Ländern untersucht, wo es die Bezeichnung mobbing erhielt, abgeleitet von mob:
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