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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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selbst zu regeln!» Das Opfer fühlt sich schutzlos, mitunter fühlt es sich sogar mißbraucht von denen, die dieser Aggression beiwohnen, ohne einzugreifen; denn die Unternehmensführung bietet selten eine sofortige Lösung an. Eher: «Warten wir’s ab!» Die vorgeschlagene Lösung ist bestenfalls eine Versetzung auf eine andere Stelle, ohne daß man den Betroffenen um seine Zustimmung gebeten hätte. Würde aber irgend jemand in einem bestimmten Moment des Geschehens vernünftig reagieren, käme alles zum Stillstand.
     
     
    Wer wird aufs Korn genommen?
     
    Im Gegensatz zu dem, was die Aggressoren glauben machen wollen, sind die Opfer anfangs keineswegs von Krankheit befallene oder besonders schwache Personen. Im Gegenteil, sehr häufig tritt das Quälen dann auf, wenn ein Opfer der Herrschsucht seines Chefs widersteht und sich weigert, sich unterjochen zu lassen. Es ist gerade seine Fähigkeit, allen Pressionen zum Trotz, der Autorität Widerstand zu leisten, die es dazu bestimmt, Zielscheibe zu werden.
    Das Quälen wird möglich gemacht, weil eine Herabwürdigung des Opfers durch den Perversen vorausgeht, die von der Abteilung hingenommen, dann abgesichert wird. Diese Abwertung liefert eine nachträgliche Rechtfertigung für die ausgeübte Grausamkeit und verleitet zur Auffassung, das Opfer habe verdient, was ihm geschieht.
    Dabei sind diese Opfer keine Drückeberger; im Gegenteil, man findet unter ihnen viele, die alles peinlich genau nehmen, die sich durch ein «pathologisches Immer-zur-Stelle-Sein» auszeichnen. Diese perfektionistischen Arbeitnehmer, ganz hingegeben an ihre Arbeit, möchten untadelig sein. Sie bleiben bis spät abends im Büro, zögern nicht, auch am Wochenende zu kommen, und gehen sogar zur Arbeit, wenn sie krank sind. Die Amerikaner verwenden den Ausdruck workaholic, um deutlich zu machen, daß es sich um eine Sucht handelt. Diese Sucht ist nicht allein an eine Charakteranlage des Opfers geknüpft: Sie ist vor allem die Folge des Einflusses, den der Betrieb auf seine Arbeitnehmer ausübt.
    Als widernatürliche Folge der Arbeitsschutzbedingungen – eine schwangere Frau kann nicht entlassen werden – beginnt das Quälen häufig genau dann, wenn eine Angestellte, die bis dahin völlig in ihrer Arbeit aufging, ihre Schwangerschaft anzeigt. Für den Arbeitgeber bedeutet das: Mutterschaftsurlaub, früherer Arbeitsschluß am Abend, um das Kind abzuholen, Fehlen wegen Krankheit des Babys ... Kurz, er befürchtet, daß diese vorbildliche Angestellte ihm nicht mehr voll zur Verfügung stehen wird.
    Wenn der Prozeß des Quälens in Gang gekommen ist, wird das Opfer stigmatisiert: Mit ihm sei schwer auszukommen, es habe einen schlechten Charakter, oder sogar, es sei verrückt. Man rechnet seiner Persönlichkeit an, was Folge des Konflikts ist, und man vergißt, was es vorher war oder was es in einem anderen Zusammenhang ist. Zur Weißglut getrieben, geschieht es nicht selten, daß es das wird, was man aus ihm machen will. Eine gequälte Person kann nicht im Vollbesitz ihrer Möglichkeiten sein. Sie ist unaufmerksam, bringt nichts zustande und bietet der Kritik Blößen, was die Qualität ihrer Arbeit betrifft. Es ist folglich leicht, sich von ihr zu trennen: wegen Unfähigkeit oder beruflichen Fehlern.
    Die Sonderfälle kleiner Paranoiker, die sich als Opfer ausgeben, dürfen nicht die Existenz echter Opfer verdecken. Die Erstgenannten sind tyrannische und starrköpfige Personen, die leicht in Konflikt mit ihrer Umgebung geraten, keinerlei Kritik annehmen und sich schnell nicht hinreichend anerkannt fühlen. Sie sind alles andere als Opfer, sind vielmehr potentielle Aggressoren, zu erkennen an ihrer charakterlichen Starrköpfigkeit und jeglichem Fehlen von Schuldgefühl.
     
     
    Wer greift wen an?
     
    Das Verhalten einer Gruppe ist nicht die Summe des Verhaltens der Individuen, die sie bilden; die Gruppe ist ein neues Wesen mit eigenen Verhaltensweisen. Freud räumt die Auflösung der Individualität in der Menge ein und sieht darin eine doppelte Identifizierung: horizontal im Verhältnis zur Horde (Gruppe) und vertikal im Verhältnis zum Anführer.
     
     
    Ein Kollege greift einen anderen Kollegen an
     
    Gruppen neigen dazu, die Individuen zu nivellieren, und ertragen nur schlecht Abweichungen (Frauen in einer Männergruppe, Männer in einer Frauengruppe, Homosexualität, rassische, religiöse oder soziale Unterschiede ...). In gewissen traditionell den Männern vorbehaltenen Berufen fällt

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