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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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wartet der Tod noch immer auf mich. Doch die Zeit hat nichts dazu getan, die Erinnerung daran verblassen zu lassen – an den Lärm bei unserem Einzug in die Stadt, an die engsitzende Maske und an das übelriechende Gewand des Antichristen. Und an die Furcht vor Verwesung.

Kapitel vier 
    ür fünf Pence mieteten wir auf dem Hof des Wirtshauses einen Schuppen mit angrenzendem Kuhstall, in dem wir unsere Habseligkeiten aufbewahren und auch schlafen konnten. Fünf Pence waren ein ziemlich stolzer Preis für ein solches Quartier, doch mit weniger wollte der Wirt sich nicht zufriedengeben. »Warum sollte ich mit einer Bande von Schauspielern um Pennies feilschen? « sagte er, wischte mit den Händen über seine schmierige Schürze und gab sich den Anstrich eines Mannes, der über ein so unerhörtes Ansinnen erhaben ist. »Im Stall stehen Kühe, sonst hätte ich sechs Pence verlangt.«
       Der Wirt war ein untersetzter Kerl mit niedriger Stirn, und eines seiner Augen schien nach innen zu blicken. Er verachtete uns und scheute sich nicht, dies auch zu zeigen, obwohl er mit Gewinn rechnen konnte, da wir unser Stück ja im Hof seines Wirtshauses aufführen wollten. Doch er gehörte zu jenen Menschen, die auftrumpfen, wenn sie sich überlegen fühlen, so, als müßten sie ihre Geringschätzung rechtfertigen. »Wenn ihr den Schuppen nicht nehmt, dann nehmen ihn halt andere «, sagte er. »Warum sollte ich mit fahrendem Volk herumfeilschen, wo ich doch dabei bin, Gemächer für den Herrn Richter zu bereiten, der von York herkommt und jede Stunde mit seinem Gefolge hier eintreffen wird?«
       Martin schwieg, blickte dem Wirt jedoch mit Eiseskälte ins Auge. Er hatte seine Engelsmaske abgenommen, trug aber noch die Flügel. Ich hatte meine Maske aus Furcht aufbehalten, denn hätte ich sie abgenommen, wäre ja meine Tonsur zu sehen gewesen. Nun beobachtete ich durch die Augenlöcher, wie Springer und Straw Blicke wechselten und wie Straw mit den Augen schielte, um den Wirt nachzuäffen, wobei er sich die Hände an einer nicht vorhandenen Schürze abwischte, freilich auf eine Weise, daß die Hände sich ebenso überkreuzten wie seine Blicke – eine Geste, die besonders komisch wirkte, weil Straw ja noch als Herr von Welt kostümiert war. Zum Glück bemerkte der Wirt nichts von alledem. Ich wollte ihn fragen, weshalb der Richter zu einer solchen Jahreszeit hierherkam, und vielleicht hätte ich es trotz der Maske, die einen beim Sprechen stark behinderte, auch getan; doch der Wirt ließ uns stehen, um einen Blinden zu verjagen, der zum Betteln auf den Hof gekommen war. Er hatte ein zerlumptes kleines Mädchen dabei, das an die Mauer gepinkelt hatte.
       Als der Wirt zurückkam, einigten wir uns auf fünf Pence, und Martin bezahlte. Der Schuppen war kahl und mit nacktem Fußboden aus Erde, doch es war trocken im Inneren, das Dach war dicht, und es gab eine Tür aus Holz mit einem eisernen Riegel und einem Vorhängeschloß. Das war wichtig für uns; denn wir hatten Diebe zu gewärtigen. Das gesamte Vermögen der Theatertruppe steckte in den Kostümen und Masken und jenen Gegenständen, die wir brauchten, um die Bühne auszugestalten. Diese Sachen hatten sich über die Jahre hinweg angesammelt; manche waren selbst gemacht, andere gekauft, und wieder andere hatten die Schauspieler sich, soweit ich wußte, auf dieselbe Weise angeeignet, gegen die wir uns jetzt schützen mußten.
       Wir zogen unsere Kostüme aus und luden alles vom Karren, einschließlich Brendan, den wir in seinem Umhang aus Vorhangstücken mit vereinten Kräften in den Schuppen trugen, wo wir ihn in einer Ecke ablegten. Hier drinnen, wo es nach Dung und Stroh und zertrampelter Erde roch, machte seine Anwesenheit sich nicht allzu deutlich bemerkbar.
       Auf dem Hof des Wirtshauses herrschte rege Betriebsamkeit, denn unentwegt kamen und gingen Leute. In der Mitte des Hofes standen schwatzend ein paar Soldaten mit Brustharnischen, und bei den Torbögen auf der Hofseite, wo sich das Wirtshaus befand, waren ein altes Weib mit einem Tablett voller Knöpfe und zwei junge Frauen mit grünen Vierecken auf den Ärmeln, die sie als Huren kenntlich machten. Der Blinde und das kleine Mädchen waren auch wieder da. Aus den oberen Zimmern riefen Gäste laut nach Bedienung, und ein Diener ging über den Hof zu der Treppe, die hinauf zur Galerie führte. Auf der anderen Seite des Hofes versuchte ein Knecht, ein Reitpferd in den Stall zu führen, einen schwarzen Zelter, doch

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