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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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das Tier war überaus nervös und von dem Lärm und Trubel in Unruhe versetzt; es bäumte sich auf und scheute vor Hindernissen, die außer ihm niemand sehen konnte, und seine Hufe schlugen Funken aus den Pflastersteinen. Quer über den Sattel war ein Turnierschild festgeschnallt; das Wappen darauf zeigte eine zusammengeringelte Schlange sowie breite blaue und silberne Streifen. Ein barhäuptiger Knappe mittleren Alters, der unter einem braunen Überwurf ein Hemd aus dünnem Kettengeflecht trug, kam herbei, redete auf das Pferd ein und beruhigte es. Der Mann war schmutzig und staubig von der Reise, und auf dem Brustteil seines Überwurfs war ein Wappen mit den gleichen Streifen in den gleichen Farben wie auf dem Schild: blau und silbern. Ich hörte, wie er dem Wirt zurief, Wein für ihn und den Ritter, dem er diente, nach oben zu schicken.
       Für mich war dies alles wie eine öffentliche Aufführung. Ich empfand keinerlei Beziehung zu dem, was ich sah, weil niemand wußte, was ich war. Ich wußte es ja selbst nicht. Ein flüchtiger Priester ist immer noch ein Priester, doch ein Schauspieler, der noch nie in einem Stück mitgewirkt hat – was ist der? Jetzt, ohne Maske, konnte ich atmen und auch sehen. Doch ich befand mich abseits, gleichsam in einem anderen räumlichen Bereich, wie es bei einem Zuschauer stets der Fall ist. Und ich fragte mich, ob auch diese Leute, die sich scheinbar nach Belieben auf dem Hof umherbewegten, sich in Wahrheit nur so und nicht anders verhalten konnten und nur vorgaben, frei zu sein, so wie wir es getan hatten, als wir in dieser Stadt Einzug hielten. 
       Dann ging Martin, mit Tobias als Zeugen, um über den Todesfall Bericht zu erstatten und mit dem Priester alles Notwendige zu regeln. Für uns andere blieb genug zu tun. Brendan stellte uns weiterhin vor Probleme. In meiner geistlichen Kleidung konnte er nicht zur Kirche gebracht werden, und nackt konnten wir ihn auch nicht dorthin schaffen. Er mußte wieder in seine eigenen Kleider gesteckt werden – und erneut übernahm Margaret diese Aufgabe und verfuhr dabei so sanft wie beim erstenmal. Das Priestergewand wurde über einen Balken gehängt, um ihm wieder Frische zu verleihen, so gut das noch möglich war; es war jetzt zu einem Bestandteil unserer gemeinsamen Theatergarderobe geworden. Inzwischen trug ich die lange Hemdbluse und das ärmellose Wams der Menschheit sowie eine wollene Kappe, von Stephen ausgeborgt, die viel zu groß für mich war und mir über die Augen rutschte. 
       Wir waren gerade so weit fertig, als der Stallknecht kam und Stroh und Sackzeug für unsere Betten brachte. Es war erst mitten am Nachmittag, doch schon begann das Licht des Tages zu verblassen. Stephen und ich standen an der Tür des Schuppens. Ich bin von Natur aus wißbegierig, und das Reden fällt mir leicht. Ich fragte den Stallknecht über den Knappen und den Mann aus, dem dieser diente.
       »Die beiden übernachten hier«, sagte der Knecht. Er war jung, mit rundem Gesicht, und in seiner Miene war deutlich zu lesen, wie wichtig er sich nahm, weil er etwas wußte, was wir nicht wußten. »Sie sind heute von Darlington hierhergeritten; das ist ein ganz schön weiter Weg«, fuhr er fort. »Der Ritter hat ein Lehen am Tees, soviel ich gehört habe. Entweder sind sie arm oder geizig. Der Knappe hat mir nur einen Penny gegeben.«
       »Ein Penny ist kein schlechter Lohn dafür, einen Gaul beim Kopf zu halten«, sagte Stephen spöttisch. »Ich tu’ das manchmal stundenlang und krieg’ überhaupt nichts dafür.« 
       Doch der Knecht gehörte zu jenen Menschen von begrenztem Verstand, die alles wörtlich nehmen. »Es war ja nicht nur das eine Tier«, sagte er mit aufsteigendem Zorn. »Da war ja auch noch das Schlachtroß, das in den Stall mußte. Eins von den Biestern, die einen an die Wand drücken und zerquetschen können, als wäre man eine Fliege, und bei denen man höllisch aufpassen muß.« »Stimmt schon, ein Penny ist wenig«, sagte ich. »Vielleicht ist das Lehen klein. Warum sind die beiden denn hier?«
        »Weil sie beim Turnier mitmachen wollen, nehme ich an«, erwiderte der Stallknecht. »Es sind noch sechs Tage bis zum Stephanstag. Unser Herr hat nach Rittern in vielen Teilen des Landes geschickt. Der aus Darlington, der bei uns wohnt, gehört wahrscheinlich zu denen, die von Turnier zu Turnier ziehen und von den Preisgeldern leben. Aber hier kann er sich keine großen Hoffnungen auf einen Preis machen, wo doch Sir

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