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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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Beruf des Schauspielers ergriffen hatte, wollte ich es darin auch zum Erfolg bringen, und wenn ich mich von den anderen ausschloß, war dies ein sicheres Mittel, an meinem Ziel zu scheitern. Der Zeit zu dienen ist ein Zeichen der Weisheit, wie Tobias es vielleicht ausgedrückt hätte, und die Zeit hatte mich zu einem Mann der Lieder und nicht der Predigten gemacht.
       Außerdem, was Martin über Priester in ländlichen Gemeinden gesagt hatte, trifft in hohem Maße zu – zumindest für eine große Zahl von Geistlichen. Viele sind ungebildet und nicht imstande, einen Text zu erläutern. Sie leben in offenem Konkubinat und lassen sich von den Leuten für ihre Dienste entlohnen. In einigen Gemeinden verteilt der Priester die heilige Hostie nur, wenn er zuvor mit Geld oder in Naturalien bezahlt wurde. Was Martins anderen Vorwurf betraf – daß die Priester den adeligen Herren dabei helfen, dafür zu sorgen, daß ihnen die Arbeitskraft des gemeinen Volkes erhalten bleibt –, so schwieg ich auch dazu; doch es sind die Kaufleute und Händler im Unterhaus, welche die Gesetze erlassen, um die Löhne niedrig zu halten und die Leute daran zu hindern, ihre Dienste anderen Herren anzubieten. Männer werden ergriffen und als Flüchtige gebrandmarkt – auf der Stirn, damit alle es sehen können –, bloß weil sie das Land ihres adeligen Herrn ohne Erlaubnis verlassen haben. Aber nicht die Kirche macht diese Gesetze. Natürlich trifft es zu, daß die heilige Kirche dem fahrenden Volk mißbilligend gegenübersteht und alles daransetzt, daß die Menschen seßhaft werden. Denn wo Genüge ist, da ist Festigkeit, und wo Festigkeit ist, da ist Glaube, ubi stabilitas ibi religio . 
      Wie gesagt, machte ich mich nicht zum Fürsprecher der Geistlichkeit. Und keinesfalls wollte ich den hiesigen Priester in Schutz nehmen, der soviel Geld von uns verlangte; denn wir würden alle gleichermaßen unter seiner Gier leiden. Andererseits wußten die anderen, daß auch ich Geistlicher war, und mein Schweigen würde sie stutzig machen, und damit sie mich nicht für einen Feigling hielten, sagte ich: »Priester sind in ihrem Wesen genauso vielfältig wie andere Menschen. Sie sind so unterschiedlich wie Schauspieler auch.«
       Nun meldete Tobias sich zu Wort, zum erstenmal seit seiner Rückkehr. »Bei den Menschen aller Stände und Berufe gibt es Gute und Schlechte«, sagte er, »und sie alle werden gebraucht, weil aus ihnen die Welt zusammengesetzt ist. Da wir gerade von Priestern sprechen – es hat in der Stadt einen Mord gegeben. Eine Frau ist dieser Tat verurteilt worden, und es war ein Mönch, der sie zum Verhör herschaffen ließ.« Martin stürzte sich auf diese Geschichte, als brauchte er den Themenwechsel. »Wir haben gehört, wie man vor der Kirche darüber gesprochen hat«, sagte er. Seine Stimme klang leise, und in seinen Augen lag ein verträumter Ausdruck, als würde er in die Vergangenheit blicken, von tiefen Gefühlen durchdrungen. »Der Mönch ist der Beichtvater des Barons; er wohnt bei ihm und den Seinen in der Burg. Er ist Benediktiner. «
       Diese Worte fallen mir jetzt wieder ein. Und ich weiß auch noch, wie Martin aussah, als er dies sagte, erschöpft von der Kraft seines Zornes. Ich erinnere mich auch noch an den Schein des Fackellichts auf dem Stroh, auf dem wir saßen. Ich konnte hören, wie die Kühe sich bewegten und atmeten. Der Geruch, der von ihrem Mist und ihrem durchtränkten Stroh aufstieg, lag stechend im Stall und vermischte sich mit dem dunklen Gestank von Brendan in seiner Ecke. Margaret saß mit gespreizten Beinen da und flickte einen Riß in Adams Kittel; ihr Gesicht war dem Licht zugewandt. Die gespreizten Frauenbeine unter dem Rock brachten mein Inneres in Aufruhr, und ich betete still zum Herrn, daß er mich nicht in Versuchung führen möge. An Haken und Nägeln an den Wänden des Schuppens hingen unsere Masken und das Zeug für den Vorhang und unsere Kostüme, die Schwingen der Schlange, der Hut des Papstes und die Schulterstücke des Narren, während das Pferdehaargewand wie eine riesige Fledermaus von einem der Querbalken herabbaumelte. Der Schuppen war in einen fremdartigen Ort verwandelt worden. Die Kupferplatte lehnte an einer Wand, und das Fackellicht bewegte sich in Wirbeln darüber hinweg, als würde die Oberfläche Farben miteinander verschmelzen, das Blau und Gold und Rot von Evas Perücke und ihren Glasperlen, die nebeneinander hingen. Meine Sicht wurde von diesen wogenden Farben

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