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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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angelegt, in der zuletzt Brendan gesteckt hatte und in der, wenn ich meinen Sinnen trauen durfte, immer noch etwas von Brendan steckte, obwohl das Priestergewand die ganze Nacht zum Lüften in der Scheune gehangen hatte. So war ich denn ein Geistlicher, der einen Geistlichen spielte und der für diese tragende Rolle seine eigenen Sachen trug. Das Mordopfer, den Knaben Thomas Wells, zeigten wir nicht, weil wir noch nicht darüber entschieden hatten, wie wir ihn darstellen sollten.
       So schritten wir also zum ernsten und feierlichen Trommelschlag dahin, während allmählich wieder Schneefall einsetzte. Schräg fielen die Flocken herab und zischten leise in den Flammen unserer Fackeln. Die Gebärde des Kummers verlangt vom Schauspieler, daß er himmelwärts blickt, und bald schon war mein Gesicht naß. Ich sah, daß auch auf Springers Antlitz feuchte Streifen waren, wie von Tränen. Der Grund dafür war, daß auch er, in der Rolle der verurteilten Frau, das Gesicht zum Himmel wenden mußte, um Gnade zu erflehen – eine Geste, die nachhaltiger wirkt, wenn man sie ohne Handbewegungen vollzieht. Der Dämon tanzte, und der Tod machte Ausfälle gegen die Zuschauer, begleitet von Bewegungen, die das Mähen des Sensenmannes darstellten, und jedesmal, wenn Stephen stehenblieb, taten wir anderen es ihm gleich, und dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund, kündigte die Aufführung des Stücks von Thomas Wells an und nannte die Zeiten der Vorstellungen am nächsten Tag – die erste sollte zur Mittagszeit stattfinden. Und der Schnee kam aus der Dunkelheit wie ein Schwarm von Geschöpfen, die von unserem Licht angezogen wurden.
       Doch schon zu diesem Zeitpunkt müssen Zweifel durch unsere Köpfe geweht und gewirbelt sein, denn selbst jetzt, mitten in unserem Umzug, während wir dem rhythmischen Trommelschlag lauschten und den Schnee auf unseren Gesichtern spürten, hielten wir mehrmals inne und horchten, ob nicht Gottes Ruf erklang. Nur so läßt sich erklären, was uns am nächsten Tag widerfuhr.
       Wir gelangten zu einer Stelle, an der sich zwei Straßen kreuzten; die eine bog nach links ab, zum Marktplatz zurück, während die andere aus der Stadt hinausführte. Hier, inmitten eines Menschengedränges, mußten wir warten. Livrierte Diener zu Pferde versperrten uns den Weg, und ihre Reittiere drängten die Menschen zur Seite, bis die Straße von Mauer zu Mauer abgeriegelt war. Wir standen dort und warteten. Überall um uns herum waren Leute; man vermochte nicht zu sagen, ob sie sich unserem Umzug angeschlossen hatten oder wir uns dem ihren. Eine Stimme in der Menge erklärte, es sei der Richter des Königs, der in die Stadt gekommen sei.
       Nach einigen Minuten zog die Reiterschar an uns vorüber; die Männer blickten weder nach rechts noch nach links. Sie waren mit Kapuzen und Mänteln vor dem Schnee geschützt, so daß es unmöglich war, den Richter inmitten seiner Begleiter auszumachen. Tobias, wenngleich im täglichen Leben ein ruhiger Geselle, neigt zum Aufbrausen, sobald er sich durch weltliche Gewalt eingezwängt fühlt, und er versetzte der Trommel einen einzigen plötzlichen Schlag, worauf eines der Pferde so heftig scheute, daß sein Reiter uns verfluchte; und wieder schlug Tobias auf die Trommel, und dann waren sie an uns vorbei.
       Dieser Zwischenfall hatte die Ordnung unseres Umzugs völlig zunichte gemacht; wir waren jetzt mit den Zuschauern vermischt. Außerdem fiel der Schnee immer dichter. So nahmen wir denn den kürzesten Rückweg und folgten schweigend der erfolgreicheren Prozession des Richters, bis wir das Wirtshaus erreichten. Die Reiter führten ihre Pferde bereits in die Stallungen, und auf dem Hof wimmelte es von Menschen, doch der Richter selbst war nirgends zu sehen.
       Wir konnten uns keine Ruhepause gönnen; denn wir mußten ja unser Stück proben. Da wir es als Maskenspiel aufzuführen gedachten, ließ sich dabei eine Anzahl von Reden verwenden, welche die Schauspieler bereits kannten; ansonsten gedachten wir uns in hohem Maße auf Gebärden und die Pantomime zu stützen, wozu die Schauspieler nach Gutdünken eigene Verse einstreuen konnten, falls ihnen welche in den Sinn kamen. In London hatte Martin einmal italienische Schauspieler ein Stück auf diese Art und Weise aufführen sehen, wobei einige der Reden zum Bestand der Figuren gehörten, während andere aus dem Stegreif eingefügt wurden, wo man es als passend erachtete.
       »Wenn wir uns auf die Handlung

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